Kalter Süden
den Strahl halten.«
Sie schüttelte den Kopf, legte das Handy auf den Fußboden und ging pinkeln. Dann wusch sie sich die Hände und nahm das Telefon wieder auf.
»Sind Sie noch dran?«
»Ja. Wo waren wir stehengeblieben?«
»Lehren für die Zukunft.«
»Genau. Deshalb wollte ich fragen, ob Sie das nächste Mal stattdessen nicht lieber zu mir kommen wollen.«
Sie setzte sich vorsichtig auf die Bettkante.
»Warum glauben Sie, dass es ein nächstes Mal geben wird?«
»Ich glaube nicht. Ich frage. Nächsten Freitag?«
»Da habe ich die Kinder«, sagte sie.
»Dann morgen? Oder Samstag?«
Sie blickte an die Decke und sog den Geruch des Zimmers ein: Staub, Insektenspray und etwas Unidentifizierbares, vielleicht ein letzter Rest von Niklas Linde.
Wollte sie das? Wollte sie sich mit ihm treffen?
Sie schloss die Augen, und die Fragen und die Männer flossen ineinander.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was ich will.«
»Kann ich Sie am Wochenende anrufen?«
Sie öffnete die Augen.
»Sicher.«
Sie legte auf und kroch auf dem Bettüberwurf zusammen, zog die Knie unters Kinn und schlang die Arme um die Schienbeine. Sie dachte an tote Kinder und rücksichtslose Frauen und mächtige Männer. Sie ließ sich von etwas einlullen, das warm und gefährlich war.
Ein paar Minuten vor vier stand Lotta im Foyer und wartete. Sie hatte ihre komplette Fotoausrüstung dabei: den Rucksack, ein sperriges Stativ und ein Blitzgerät, das so groß war, dass es eine eigene Tasche brauchte.
»Gut, dass du deine ganzen Sachen mitgenommen hast«, sagte Annika, »das werden nämlich schwierige Aufnahmen. Der Polizist darf nicht identifizierbar sein, aber die Fotos müssen trotzdem dramatisch aussehen. Die Frage ist, ob wir das Ganze nicht lieber arrangieren, statt uns mit Schatten und Gegenlicht und Schirmen herumzuärgern …«
Lotta sah sie verwundert an.
»Nun bin ja immer noch ich die Fotografin«, sagte sie. »Ich dachte, das hätten wir geklärt.«
Annika stellte ihre Tasche auf dem Boden ab. Sie war auf dem Bett eingeschlafen und mit Kopfschmerzen aufgewacht. Die Grenze des Erträglichen war ein gutes Stück näher gerückt. Dass sie Niklas Linde in Gegenwart einer Kollegin von der Zeitung wiedersehen sollte, machte sie gereizt und nervös.
»Die Artikelserie erscheint im Abendblatt «, sagte Annika kurz. »Es gibt bestimmte Vorgaben, die einzuhalten sind, und die gibt es, weil sie sich bewährt haben.«
»Das gilt vielleicht für dich«, sagte die Fotografin. »Ich bin hier, um einen guten Job zu machen.«
Annika nahm die Tasche wieder hoch.
»Ich warte draußen«, sagte sie.
Niklas Linde verspätete sich eine Viertelstunde, getreu seiner Gewohnheit. Annika setzte sich eilig auf den Beifahrersitz, während Lotta ihre Siebensachen in den Kofferraum packte.
»Hallo«, begrüßte er sie und legte ihr rasch die Hand auf den Schenkel. »Wie geht’s dir?«
Sie schnappte nach Luft, zittrig vor Angst, dass Lotta etwas merken könnte, aber auch erregt von seiner Berührung.
Sie brachte es fertig, ihm mit einem Lächeln in die Augen zu sehen.
»Hervorragend«, erwiderte sie.
Lotta schlug den Kofferraumdeckel zu, und Niklas Linde nahm seine Hand weg. Die Fotografin hüpfte auf den Rücksitz und beugte sich zwischen den Vordersitzen vor, wie Ellen und Kalle es immer taten, wenn sie nicht angeschnallt waren.
»Lotta Svensson Bartholomeus«, sagte sie, streckte Niklas Linde die Hand hin und strahlte ihn an.
Er ergriff ihre Hand und schaute sie im Rückspiegel an.
»Niklas Linde«, sagte er. »Ich weiß, das hier sieht nicht aus wie ein Polizeiwagen, aber ich versichere Ihnen, es ist einer. Deshalb muss ich Sie bitten, sich anzuschnallen.«
Lotta kicherte doch tatsächlich. Annika drehte den Kopf und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie sie sich in der Mitte der Rückbank anschnallte. Dann schaute sie starr nach vorn und vermied es, Niklas anzusehen.
Man darf uns nichts anmerken, dachte sie. Lotta wird nichts ahnen, wenn wir ihr keinen Grund geben.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
Er hatte sich umgezogen und den Sportpullover gegen ein kurzärmliges Hemd aus grobgewebtem Stoff getauscht. Seine Haare ringelten sich im Nacken, sie selbst hatte sie ihm gewaschen. Sie bildete sich ein, das Parfüm des billigen Gratis-Shampoos aus dem Hotel riechen zu können.
»Wie geht es Jocke?«, fragte Niklas Linde.
»Nicht besonders«, antwortete Annika. »Er hat Heimweh.«
»Genau der Effekt, den dieses
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