Kalter Süden
Deutschland und Schweden.«
»Seid ihr ihnen zum ersten Mal auf der Spur?«
»Es wurden sicher früher schon kleinere Partien beschlagnahmt, aber noch nie in dieser Größenordnung.«
»Was bedeutet das hier für sie? Müssen sie ihr Unternehmen jetzt dichtmachen?«
»Wir wissen nichts über ihre interne Organisation, das ist deshalb schwer zu beantworten.«
»Bekommen sie Probleme mit den Kolumbianern?«
»Sie müssen den Verlust zu einem Teil ersetzen, üblicherweise wird halbe-halbe gemacht. Jede zehnte Ladung geht verloren, das kalkulieren die Kolumbianer ein. Für die ist das ein Tropfen auf den heißen Stein, aber für Apits kann es das Aus bedeuten.«
Er machte einen Schritt nach vorn, so dass er unmittelbar vor ihr stand, und legte seine Lippen an ihr Ohr.
»Ich kann heute Abend nicht.«
Sie erstarrte. Der Stift rutschte ihr aus der Hand und zog einen langen Strich über ihre Notizen.
»Wieso nicht?«
»Ich habe andere Verpflichtungen.«
Er ging an ihr vorbei zum Eingang, sorglos und unbeschwert.
Sie stand da wie angewurzelt.
Er hat eine andere, dachte sie. Die Frau im Hintergrund damals im Straßencafé, wo er saß und Kaffee trank, als ich ihn angerufen habe. Hasta luego und dann ein Kuss. Oder Carmen aus dem Restaurant oben im Bergdorf. Oder eines der Mädchen, die so hysterisch gelacht haben, als er mich am ersten Abend aus der Sinatra Bar anrief …
»Willst du noch mehr wissen?«, fragte er.
Wer ist sie?, dachte Annika und starrte auf ihren Block.
»Wie bekam Jocke Martinez die Informationen vom Verteiler?«, sagte sie stattdessen.
Der Polizist öffnete die Tür einen Spalt und spähte hinaus auf die Straße, dann machte er sie wieder zu.
»Das ist eine der schwierigsten Fragen«, sagte er. »Wir wissen nicht, wie Martinez sich mit seinen Auftraggebern verständigt hat, und ebenso wenig, wie Apits mit den Kolumbianern in Verbindung getreten ist.«
»Wenn sie nicht telefoniert haben, was haben sie dann gemacht? Briefe geschrieben? Mails geschickt? Sich in wechselnden Tapasbars getroffen und verschlüsselte Nachrichten in wichtigen Tageszeitungen ausgetauscht?«
»Wir hatten Martinez unter Beobachtung. Er hat sich mit niemandem getroffen, den wir mit der Verteilerkette in Verbindung bringen. Wir haben nichts Geschriebenes gefunden, auch nichts auf der Festplatte seines PC s. Aber vielleicht ist er in ein Internetcafé gegangen, hat sich ›Geile Hausfrau aus Finnland‹ genannt und die Mitteilungen über irgendeine Community bekommen, die wir nicht kennen.«
»Ging er denn in Internetcafés?«
»Das ist wirklich toll hier«, sagte Lotta, stellte sich neben den Polizisten und lächelte.
»Nie«, sagte Niklas Linde. »Ich habe übrigens ein Partygirl für euch aufgetan. Sie sagt, sie will in der Zeitung auspacken, um andere zu warnen.«
»Sehr gut.« Annika zwang sich zu einem Lächeln. »Vielen Dank.«
»Kommt, ich fahre euch zurück ins Hotel.«
Lotta beeilte sich, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Sie unterhielt sich begeistert mit Niklas Linde darüber, wie phantastisch sie das karge Ambiente in der Lagerhalle gefunden hatte, die harten Schatten und die verschlissenen Werkzeuge.
Annika saß auf der Rückbank und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen.
Andere Verpflichtungen.
Ja klar.
Was hatte sie erwartet?
Dass er in ihre Dreizimmerwohnung in der Agnegatan einziehen würde?
Sie starrte aus dem Autofenster. Zäune und Mauern und Hausdächer huschten vorbei.
Nein, dachte sie. Nicht, dass er bei mir einzieht, aber dass er die paar Nächte, die ich hier bin, mit mir verbringt.
Dann der gefährlichste aller Gedanken:
Er findet mich schlecht im Bett.
Sie schloss die Augen. Versuchte, sich wieder einzukriegen, sich zu trösten.
Ich fand es gut, nur das zählt. Soll er doch denken, was er will. Ich bereue nichts.
Sie unterdrückte ein Schluchzen.
»Oder was meinst du, Annika?«
Sie begegnete seinem Blick im Rückspiegel.
»Was?«, fragte sie.
»Bist du auch der Meinung, dass die Kunst viel realer ist als der Journalismus?«
Sie blickte wieder aus dem Fenster.
»Das lässt sich doch gar nicht beantworten«, erwiderte sie. »Was heißt ›die Kunst ist realer‹? Das ist wie die Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem Fisch? Und die Antwort lautet: Er kann weder Rad fahren.«
Niklas Linde lachte laut.
»Was ich meine, ist, dass die Kunst ein Erlebnis in dir als Betrachter erzeugt, während Zeitungen nur die Erlebnisse anderer referieren«,
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