Kalter Süden
Meeresfrüchte hast.«
Sie antwortete nicht.
Sie fuhren an der Stierkampfarena vorbei.
»Wie kommst du mit deiner Artikelserie voran?«
Sie schloss die Augen. So war es immer gewesen. Sie hatten immer um die wichtigen Sachen herumgeredet. Viele Worte gesagt, die völlig unwichtig waren.
»Danke«, sagte sie. »Zu wenig Zeit, eine faule Fotografin, zu wenig Vorarbeit, aber es wird schon klappen. Und du?«
Er stieß einen zufriedenen Seufzer aus.
»All die unterschiedlichen Wirtschaftsgesetze in Europa zu koordinieren ist eine wesentlich größere Aufgabe, als ich gedacht hatte. Es wird so manche Nachtschicht kosten, das fertigzubekommen. Aber es ist ein gutes Gefühl, dass mir das Ministerium so viel Vertrauen entgegenbringt.«
Sie schaute aus dem Seitenfenster.
Dass er immer betonen musste, wie toll und wichtig er war.
Sie schwiegen, während das Auto bergauf fuhr. Thomas nahm einen anderen Weg als Niklas Linde, also fuhren sie nicht nach La Campana. Die Sonne stand tief und färbte die Mauern rot. Bougainvilleen quollen über Zäune und Hausdächer und glühten im Sonnenuntergang wie Feuer.
»Ich habe nachgedacht«, sagte sie. »Wir müssen dafür sorgen, dass wir immer freundlich miteinander umgehen, du und ich. Wegen der Kinder.«
Er bedachte sie mit einem Seitenblick, sagte aber nichts.
»Ich habe gestern einen Typen interviewt«, sagte Annika. »Er ist sechsundzwanzig und sitzt in einer Betonzelle ohne Fenster in einem Knast in Marbella. Wenn er Glück hat, kommt er raus, bevor er dreißig ist. Er hätte da nicht landen müssen.«
Thomas antwortete nicht, sondern bog auf den Parkplatz eines Restaurants namens El Picadero.
»Der Portier hat gesagt, dass das hier mal ein Stall gewesen ist. Anscheinend hat es hier noch bis vor ein paar Jahren Pferde gegeben. Ich dachte, das würde dir gefallen.«
Das Gebäude war niedrig und breit, mit gelben Dachziegeln und einer großen Terrasse an der Vorderseite. Große Leuchter mit echten Kerzen hingen von der Decke.
»Willst du draußen sitzen?«
Sie nickte.
Man wies ihnen den Tisch zu, der am weitesten von der Tür entfernt lag.
»Ich habe auch nachgedacht«, sagte Thomas, als sie sich gesetzt und Wasser und Wein bestellt hatten. Er drehte seine Serviette zwischen den Fingern und bewegte die Füße unruhig unter dem Tisch, wie er es immer tat, wenn er nervös oder ungehalten war.
»Es war ein Fehler, dass ich dir nicht von Sophia erzählt habe«, sagte er. »Du hast davon gewusst, und ich wünschte, du hättest etwas gesagt, aber es war nicht deine Schuld, dass alles so kam, wie es gekommen ist. Nicht nur.«
Annika senkte den Blick auf die Tischdecke. Sie verstand, was er meinte und wie schwer es für ihn war, es auszusprechen. Näher würde sie einer Entschuldigung nicht kommen.
Offensichtlich war er noch nicht fertig, denn er scharrte weiterhin mit den Füßen.
»Deshalb finde ich, dass wir ehrlich miteinander sein sollten.«
Annika nickte. Ja, das fand sie auch.
»Du kannst mir also ruhig sagen, ob du auch …«
Sie blinzelte und verstand nicht gleich, worauf er hinauswollte.
»Ob du auch mit jemandem zusammen warst.«
Sie betrachtete ihre Serviette.
»Nie«, sagte sie. »Mit niemandem, nicht ein einziges Mal.«
Der Kellner brachte die Getränke. Thomas probierte den Wein. Annika trank gierig einen Schluck Mineralwasser.
»Auch nicht danach?«, sagte er, als die Bedienung verschwunden war.
Sie schaute hinüber zum Parkplatz. Der Einzige, mit dem sie seitdem zusammen gewesen war, war Niklas Linde.
»Mit diesem Polizisten?«, sagte Thomas. »Oder Halenius?«
Der alte Zorn, nur versteckt unter einer hauchdünnen Schicht Eis, brach mit all seinem zurückgehaltenen Gestank wieder hervor. Sie erhob sich halb vom Tisch, so dass ihr Stuhl gegen den des Gastes hinter ihr stieß.
»Wie kannst du es wagen!«, rief sie. »Mich ins Kreuzverhör zu nehmen, mit wem ich ins Bett gegangen bin!«
Ich kann zu Fuß zurück ins Hotel gehen, schoss es ihr durch den Kopf. Ich kann nach dem Weg fragen. Es ist sicher nicht weiter als fünf Kilometer.
Dann sah sie sich um. Die übrigen Gäste schauten sie verwundert an. Der Mann, den sie angestoßen hatte, rückte seinen Stuhl gereizt ein paar Zentimeter zur Seite.
Fast hätte sie es wieder getan – wäre vor der Auseinandersetzung geflohen und hätte den Kopf in den Sand gesteckt.
Sie errötete und setzte sich wieder.
»Entschuldige«, sagte sie.
Thomas sah peinlich berührt aus.
»Da drüben sitzen
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