Kalter Süden
Schweden«, sagte er und nickte zum Tisch neben dem Eingang. »Selbst wenn sie taub wären, hätten sie dich gehört.«
»Entschuldige«, wiederholte sie.
Der Kellner tauchte auf und fragte, ob sie bestellen wollten. Schnell griffen sie wieder nach den Speisekarten.
»Wir sollten Fleisch nehmen«, schlug Thomas vor. »Sie grillen es am Tisch auf einer glühend heißen Steinplatte. Es muss unglaublich lecker sein.«
Annika schlug die Speisekarte zu, ohne zu antworten.
Thomas bestellte ein paar Vorspeisen und carne a la piedra.
Der Kellner verschwand.
»Die Kinder«, sagte Annika. »Wir müssen diese ganzen Streitereien endlich ad acta legen. Es ist wichtig, dass wir miteinander reden können, ohne immer gleich so emotional zu werden. Der Kinder wegen.«
Er nickte.
»Darüber habe ich auch nachgedacht«, sagte er. »Was das jetzt für ein Unterschied ist. Früher haben wir uns die Kinder geteilt, aber jetzt trage ich die ganze Verantwortung allein.«
Sie sah ihn an.
»Nein, Thomas«, sagte sie, »als wir verheiratet waren, habe ausschließlich ich mich um die Kinder gekümmert und du dich um deine Karriere. Nicht von Anfang an, aber nachdem ich wegen dieser Geschichte mit dem roten Wolf freigestellt war, bist du durchgestartet. Jetzt teilen wir uns die Verantwortung, du und ich.«
Er sah sie erstaunt an.
Annika wich seinem Blick nicht aus, sondern hielt ihm stand. Er hatte an den Schläfen ein paar graue Haare bekommen. Die Fältchen um die Augen herum waren deutlicher als früher. Ein bisschen zugenommen hatte er auch. Vielleicht backte Sophia Dumme Schlampe Grenborg ihm ja Kaffeeplätzchen. Thomas hatte eine Schwäche für Gebäck.
Es wurde still zwischen ihnen. Neben ihnen im Gras begann eine Grille zu zirpen. Von Ferne antworteten andere Grashüpfer. Ein Hund bellte.
Der Kellner brachte einen Teller mit feingeschnittenem Schinken und einen mit Käse und Walnüssen.
»Ich dachte, wir teilen uns die Vorspeisen«, sagte Thomas. »Hast du den schon mal probiert? Jamón ibérico de bellota , der beste Schinken der Welt.«
Sie aßen schweigend. Nachdem sie einmal angefangen hatte zu essen, konnte sich Annika nicht mehr zurückhalten. Sie stopfte Schinken und queso manchego und Endiviensalat mit Walnüssen in Gorgonzolacreme in sich hinein, bis ihr die Luft ausging. Sie trank Wasser und sogar ein ganzes Glas Wein.
Die Dunkelheit nahm zu und umgab sie schon wenig später wie eine Wand.
»Habe ich erzählt, was Ellen neulich auf dem Weg zur Vorschule gesagt hat?«, fragte sie. »Wenn ich alt bin, dann bist du tot, und dann kommst du zurück.«
Thomas lachte auf.
»Wir haben eine Tochter, die an Reinkarnation glaubt.«
»Genau.«
»Wer sie wohl war, wenn sie schon mal gelebt hat?«
»Mahatma Gandhi?«, schlug Annika vor.
»Auf jeden Fall nicht Stalin«, sagte Thomas. »Dafür hat sie viel zu viel Angst vor Blut.«
Sie lachten.
Im selben Moment klingelte sein Handy. Er kramte es aus seiner Innentasche, warf einen weitsichtigen Blick auf das Display, zögerte, stand auf und wandte ihr den Rücken zu.
»Hallo, Kalle«, sagte er und ging auf den Parkplatz.
Sie sah ihm nach.
Ihr gemeinsamer Sohn rief ihn an, aber er wollte den Jungen nicht merken lassen, dass sie gemeinsam zu Abend aßen, denn es wäre ja problematisch, das Sophia zu erklären.
Sie stand auf und warf ihre Serviette auf den Stuhl. Irgendwo musste die Erniedrigung ihre Grenzen haben. Sie sollte Rechenschaft darüber ablegen, mit wem sie Sex hatte, aber er konnte nicht einmal dazu stehen, dass sie gemeinsam ausgingen.
Sie hatte den Parkplatz gerade erreicht, als Thomas sie erblickte.
»Ich vermisse dich auch, Kalle«, sagte er. »Weißt du, wer hier gerade kommt? Hier ist jemand, der dich sprechen möchte.«
Mitten im Schritt hielt sie inne. Er stand vier oder fünf Meter von ihr entfernt und streckte ihr das Telefon entgegen.
Fast rannte sie zu ihm und nahm es ihm aus der Hand.
»Kalle?«, sagte sie.
»Mama?«
Eine Welle der Wärme stieg in ihr auf und trieb ihr Tränen in die Augen.
»Hallo, Kalle, wie geht es dir?«
»Mama, weißt du was, ich habe einen Zahn verloren!«
Sie lachte und fing eine Träne direkt unter den Wimpern auf.
»Hui, schon wieder einen, wie viele hast du denn noch?«
»Gaaanz viele! Meinst du, dass die Zahnfee in die Grev Turegatan findet?«
»Leg ihn in ein Glas mit Wasser, und du wirst sehen, morgen früh ist eine Münze drin.«
»Mama?«
»Ja?«
»Wann kommst du nach Hause?«
»Morgen. Und
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