Kalter Süden
von Thomas um Viertel vor vier.
Er würde sie zum Flughafen fahren und anschließend im Hotel Parador seine eigenen Sachen zusammenpacken.
Es fühlte sich an, als sei nie etwas Seltsames oder Unangenehmes zwischen ihnen vorgefallen.
Die Scheidung war nur ein schlimmer Traum, etwas, das sie sich eingebildet hatte. Alles war wie immer, und gleich würden sie die Kinder abholen und nach Hause in ihre Wohnung auf Kungsholmen fahren, die Wäsche musste noch gemacht werden, und es war auch keine Milch mehr da. Die Schwiegereltern erwarteten sie draußen auf der Insel …
Plötzlich blieb ihr fast die Luft weg. Etwas schnürte ihr die Brust zusammen, der Verkehrslärm verklang. Sie tastete nach ihrer Reisetasche, ließ sich zitternd darauf nieder und beugte sich vornüber, um besser Luft zu bekommen.
Sein Mietwagen tauchte neben ihr auf.
»Was ist denn?«, fragte er und stieg eilig aus. »Geht es dir nicht gut?«
Sie wedelte abwehrend mit der Hand.
»Nein, nein. Es war nur so ein Anfall … mir ist ein bisschen schwindelig geworden. Alles bestens.«
Sie schaute zu ihm hoch.
Sie hatten am Morgen nicht miteinander geschlafen. Er hatte nicht geduscht. Er hatte sich nicht ihre Zahnbürste geborgt, so etwas Unhygienisches würde ihm im Traum nicht einfallen.
Aufrichtige Sorge stand in seinen phantastischen strahlend blauen Augen. Sie ergriff seine Hand, ließ sich von ihm hochziehen und auf den Beifahrersitz helfen. Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und schnallte sie an. Dann räumte er ihre Tasche in den Kofferraum, verschloss die Klappe sorgfältig und kontrollierte noch einmal, ob sie wirklich zu war. Schließlich ging er vorne um den Wagen herum, stieg ein und sah sie lächelnd an. Der Pony fiel ihm in die Stirn, und sein Hemdkragen stand offen.
Sie bemühte sich, sein Lächeln zu erwidern.
»Ich bereue es nicht«, sagte er.
Noch nicht, dachte sie.
»Ich auch nicht«, sagte sie.
Dann fuhren sie los.
Die Schnellstraße lag fast verlassen da. Als sie auf die Mautautobahn auffuhren, waren gar keine anderen Fahrzeuge mehr zu sehen. Schweigend saßen sie nebeneinander. Thomas sah konzentriert auf die Straße, und Annika starrte aufs Meer hinaus. Sie konnte nicht bis nach Afrika sehen, es war viel zu diesig.
Wenn es in diesem Tempo weiterging, würden sie den Flughafen in einer halben Stunde erreichen.
Sie würde aus dem Wagen aussteigen, ihn ein wenig zögernd küssen, und dann würde sie den Pablo-Ruiz-Picasso-Terminal betreten, die automatischen Türen würden sich hinter ihr schließen, und die Illusion würde vorbei sein.
Ihre Flugzeuge würden abheben, Gepäckbänder sich drehen und Taxifahrer ihre festen Preise nennen. Dann würde sie in ihrer Dreizimmerwohnung in der Agnegatan sitzen, und er würde die letzte Fähre nach Vaxholm nehmen und zum Sommerhaus seiner Eltern in den Schären fahren, wo ihn Sophia und die Kinder erwarteten – Kalle und Ellen anhänglich und erwartungsfroh, Sophia warm und gurrend.
Und diese Fahrt würde auf einmal fremdartig und unbegreiflich sein.
Plötzlich roch es nach alten Socken, und sie hob den Blick. Sie fuhren an der Brauerei von San Miguel vorbei, die unmittelbar neben dem Flughafen lag.
Jetzt war es fast vorüber.
Thomas fuhr hinauf zur Abflugebene, salidas . Hier herrschte wirklich immer Chaos, egal an welchem Tag oder zu welcher Uhrzeit. Ein Ordner in einer neongelben Weste winkte sie in eine freie Parklücke wenige Meter neben dem Eingang zum Terminal.
Sie holte tief Luft.
»Geht es dir besser?«
Sie nickte. Sah ihn an. Sein Gesicht wirkte offen und hell. Er war ihr wohlgesinnt, dessen war sie sich sicher.
»Mir geht es gut«, sagte sie und strich ihm den Pony aus der Stirn, den blonden Schopf, den er so gut wie nie kämmte.
Sie beugte sich vor und küsste ihn so leicht, dass es fast nicht zu spüren war.
»Ich helfe dir mit der Tasche«, sagte er.
»Das brauchst du nicht«, versicherte sie, aber da hatte er schon die Tür geöffnet und war auf dem Weg zum Kofferraum.
Als sie ausstieg, waren ihre Beine schwer wie Blei. Sie schulterte ihre Tasche, und er küsste sie auf die Stirn.
»Ich rufe dich an«, sagte er und schaute sie an, als würde er es wirklich meinen. Sie lächelte zurück, ohne zu antworten, drehte sich um und ging auf die Türen zu.
Als sie hinter ihr zuglitten, blieb sie stehen und schloss die Augen.
Dann war es vorbei.
Bis kurz vor dem Boarding ging Annika auf dem Flughafen shoppen. Sie kaufte Süßigkeiten und Spielzeug für
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