Kalter Süden
über den unebenen Untergrund weiterschaukeln. Der Weg zog sich wie ein heller Strich durch die Nacht, Annika konnte Büsche und Pflanzen und Felsbrocken am Wegesrand ausmachen.
Als die letzten Lichter der Autobahn hinter einem Hügelkamm verschwanden, hüllte die Dunkelheit sie ein wie ein schwarzes Tuch. Muhammed ließ sein Fenster hoch, als wollte er die Nacht aussperren.
»Ist es noch weit?«, fragte Annika und überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, erst am nächsten Morgen zur Farm zu fahren.
»Weit nicht«, sagte der Taxifahrer, »aber der Weg ist schlecht. Man muss vorsichtig mit dem Auto sein.«
Sie lehnte sich zurück und starrte in die Dunkelheit. Das Essen lag ihr wie ein Stein im Magen. Sie konnte draußen nichts erkennen, sah nur die schwachen Konturen ihres Gesichts, das sich in der Scheibe spiegelte.
Was hatte David veranlasst, hierherzukommen, in diesen gottverlassenen Winkel? Hatte er sich auch in schlechten Autos auf noch schlechteren Wegen durchschütteln lassen, um zu einer kleinen Farm in der marokkanischen Einöde zu gelangen? War Suzette diesen Weg vor ein paar Tagen erst gefahren?
Auf einmal fiel ihr eine Filmszene aus La vie en rose ein: Der Boxer Marcel sitzt mit Edith Piaf in einem Restaurant in New York und erzählt, dass er eine Schweinefarm in Marokko hat, eine moderne Farm mit großen, gesunden Schweinen. Und während er herumreist und boxt und mit französischen Sängerinnen schläft, kümmert sich seine Frau um den Hof.
Sie schloss die Augen und ließ sich von Schlaglöchern und Steinen schütteln und schaukeln.
Die Männer ziehen hinaus in die Welt, und die Frauen bleiben zu Hause und füttern die Schweine.
Sie legte den Kopf zurück und schlief ein.
» Madame? Madame! Wir sind da!«
Sie schreckte mit einem Ruck auf. Der Taxifahrer hatte sich zu ihr umgedreht. Er sah müde aus. Sie blickte auf ihre Uhr: halb neun. Zwei Stunden hatte die Fahrt gedauert.
Sie rieb sich die Augen, und die Wimperntusche hinterließ schwarze Spuren an ihren Fingerknöcheln.
Draußen vor den Autofenstern herrschte immer noch pechschwarze, undurchdringliche Finsternis, aber auf einer Anhöhe rechts von ihnen leuchtete etwas am Himmel.
Sie zwinkerte ein paarmal, um das Objekt klarer zu erkennen.
Es war ein knallgelbes Raumschiff, das wie ein glühender Teller am Himmel schwebte.
»Was ist das?«, fragte sie und starrte den Hügel hinauf.
»Das ist die Farm.«
»Das da?«
Sie ließ die Scheibe herunter. Der Wind blies ins Auto, er trug Sand und Graspollen herein und zerzauste ihre Haare.
»Können Sie näher ranfahren?«
»Direkt bis zur Farm?«
»Ja, bitte.«
Muhammed legte den Gang ein und fuhr langsam die letzte Strecke bergauf.
Annika starrte fasziniert auf das bizarre Bild, das sich ihr bot.
Es war natürlich kein Raumschiff. Es war eine Mauer, eine gelb verputzte Mauer, die mehrere Meter hoch war und ein riesiges Gelände umschloss. Sowohl die Mauer als auch das Gelände unmittelbar davor wurden grell von starken Halogenscheinwerfern angestrahlt.
»Sind Sie sicher?«, sagte sie skeptisch.
Sie hatte sich einen kleinen Bauernhof mit Schafen und ein paar Pferden vorgestellt.
»Auf dieser Farm wohnt Fatima, das hat der muqaddam gesagt.«
»Wahnsinn«, sagte Annika.
Das Auto kam mit einem leichten Ruck vor einem großen grauen Eisentor zum Stehen. Die Mauer wurde von einer Rolle kräftigem Stacheldraht gekrönt. Die Scheinwerfer waren im Abstand von zehn Metern oben auf der Mauer montiert, zwei von ihnen strahlten das Tor an. Annika entdeckte eine Gegensprechanlage und eine Überwachungskamera.
Sie raufte sich die Haare, das war so ziemlich das Letzte, was sie erwartet hätte. Das Ganze erinnerte mehr an das Gefängnis von Kumla als an eine Farm.
»Wo sind wir eigentlich?«, fragte sie.
»Zwischen Souk el Had el Rharbia und Souk Trine de Sidi el Yamani.«
»Aha«, sagte Annika. »Gibt es noch andere Häuser in der Nähe?«
»Keine anderen Häuser. Vor einer Stunde sind wir an einem kleinen Dorf vorbeigekommen. Vielleicht gibt es in der anderen Richtung Häuser.«
»Wie weit sind wir von Asilah entfernt?«
»Vierzig Kilometer, vielleicht etwas mehr.«
»In den Bergen?«
»In den Bergen, aber keine hohen Berge. Gutes Ackerland in Asilah.«
Sie atmete tief durch und öffnete die Wagentür.
Da sie nun schon einmal den ganzen Weg gefahren war, wollte sie wenigstens klingeln und erfahren, ob jemand zu Hause war.
Der Taxifahrer räusperte sich. Sie hielt inne und sah
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