Kalter Süden
wir?
Ihr Französisch war wirklich kümmerlich.
Er antwortete nicht.
»Qu’est-ce que vous faites maintenant?«
Was machen Sie jetzt?
»Ne vous inquiétez pas« , sagte der Junge.
Sie solle sich keine Sorgen machen.
Sie gingen eine Treppe hinunter, Annika voran und der Junge mit der Waffe hinterher, eine viel breitere Treppe als die, die sie gestern Abend hinaufgegangen waren. Diese hier war mit einem dicken Teppich ausgelegt und führte ins mittlere Stockwerk des Hauses. Sie kamen in eine große Halle mit Steinfußboden und Türen an drei Wänden, alle verschlossen und verriegelt. Sowohl Türen als auch Wände waren dunkel und reich mit Ornamenten verziert, manche Partien waren sogar vergoldet. In mehreren Nischen standen große Statuen aus Stein und Bronze. Die vierte Seite bestand aus einem offenen Lichtschacht, der vom Erdgeschoss bis hinauf zum Dachfirst reichte. Die Treppe setzte sich nach unten fort, Annika konnte bis zur Eingangstür blicken, durch die sie gestern Abend gekommen war.
Der Jüngling blieb vor einer großen Flügeltür an der linken Seite stehen, öffnete sie und bedeutete Annika, dass sie hineingehen solle. Sie bemerkte, dass ein großer Schlüssel im Türschloss steckte.
Sie tat wie geheißen und hörte die Tür hinter sich zugehen und dann, wie der Schlüssel umgedreht wurde.
Sie befand sich in einer Bibliothek. In den deckenhohen Regalen ringsum standen Unmengen von Büchern, manche in altes Leder gebunden, andere mit modernen Einbänden. Die Rücken waren teils mit arabischer, teils mit lateinischer Schrift bedruckt.
Es gab keinen zweiten Ausgang.
Sie ging zu den drei Fenstern und versuchte, sie zu öffnen, eins nach dem anderen. Alle waren verschlossen.
Sie blieb mitten im Raum zwischen zwei dunkelroten Ledersofas stehen. Neben ihr thronte ein verschnörkelter Marmortisch, darauf ein massiver Aschenbecher aus Bronze. Sie versetzte dem Tisch einen Tritt und tat sich dabei furchtbar am Zeh weh.
In einer Ecke stand ein alter Tisch mit vier Stühlen, auf dem Tisch ein Tablett mit Frühstück für eine Person.
Man hatte also nicht die Absicht, sie verhungern zu lassen.
Sie trat an den Tisch und betrachtete die Mahlzeit misstrauisch. Das Pitabrot kannte sie, das Grünzeug daneben auch, aber das Bohnenmus in der Mitte erschien ihr verdächtig.
Sie setzte sich, nahm die Gabel und probierte. Sie aß normalerweise keine Bohnen, obwohl die Sache mit dem Glyx-Index so angesagt war, aber tatsächlich schmeckte das Zeug richtig gut. Nach Knoblauch und Petersilie.
Sie aß das ganze Tablett leer und trank den süßen Tee dazu.
Kaum hatte sie das letzte Glas Tee eingegossen, rasselte es im Türschloss.
Ihr Magen krampfte sich zusammen, sie wollte nicht zurück in die kochend heiße Zelle im Obergeschoss.
Aber es war nicht der junge Mann mit der Waffe. Vor ihr stand ein zierliches Mädchen mit großen Augen und rabenschwarzem Haar.
Annika hielt den Atem an.
»Ha!«, rief das Mädchen. »Langsam verstehe ich tatsächlich, was sie sagen. Ich hab mir doch gedacht, dass sie gesagt haben, sie stellen Ihnen das Frühstück in die Bibliothek, und ich hatte recht!«
Sie machte vorsichtig die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Ihre Augen leuchteten vor Neugier.
»Ist es wahr, dass Sie bei der Zeitung arbeiten?«
Annika nickte.
»Und du bist Suzette, oder? Ich darf doch du sagen?«
Das Mädchen lächelte breit und nickte. Sie trug Jeans, T-Shirt und Turnschuhe.
»Warum sind Sie hergekommen?«, fragte sie.
Annika musterte die Sechzehnjährige. Sie sah gesund und munter aus und schien ganz und gar keine Not zu leiden.
»Ich wollte nachsehen, ob du hier bist. Eine Menge Leute suchen dich.«
Suzettes Gesicht verdunkelte sich.
»Keiner macht sich etwas aus mir«, sagte sie. »Nicht wirklich.«
»Deine Mutter macht sich Sorgen um dich, sehr große sogar.«
Das Mädchen ließ sich auf eines der Ledersofas fallen.
»Quatsch«, erwiderte sie. »Die macht sich bloß was aus ihrem scheiß Job. Ich war ihr nur im Weg, und zu viel Geld habe ich außerdem gekostet.«
Sie lümmelte auf dem Sofa und ließ ein Bein über die Armlehne baumeln. Annika schwieg und wartete darauf, dass die Neugier des Mädchens zurückkehrte.
»Keiner weiß, dass ich hier bin. Wie sind Sie dahintergekommen?«
Suzette war sich offenbar bewusst, dass sie versteckt wurde. Sie durfte wahrscheinlich überhaupt nicht hier in der Bibliothek sein.
»Die wichtigste Frage ist wohl, warum du hier bist«, sagte
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