Kalter Süden
konnte.
Sie hatte steife Knie und Kreuzschmerzen. Die Billig-Airline versprach nicht zu viel, wenn sie mit der Devise für sich warb: »Sie zahlen nur für das, was Sie bekommen«. Verglichen mit der Sardinenbüchse, die sie nach Málaga geflogen hatte, boten die Stadtbusse der Stockholmer Verkehrsbetriebe geradezu paradiesische Bewegungsfreiheit.
Es war warm, fast zwanzig Grad. Der Geruch von Kerosin und verbranntem Gummi hing über den Zementplatten. Sie zwängte sich in einen riesigen Bus, der alle Passagiere auf einmal schluckte, und sah ein, dass es ein Fehler gewesen war, die Winterjacke anzuziehen. Hilflos zappelnd wie ein auf dem Rücken liegender Käfer versuchte sie, sich die Jacke auszuziehen. Es ging nicht. Also schwitzte und litt sie, während der Bus das langgestreckte Flughafengebäude entlang Richtung Eingang rumpelte.
Es schien, als wäre der ganze Flugplatz eine einzige große Baustelle.
Der Krach der Zementmischer und Bagger drang sogar bis in die Gepäckausgabehalle. Die zahlreichen Transportbänder lagen dicht nebeneinander und ratterten und quietschten, während sie eine endlose Flut von Koffern und Sportausrüstungen ausspuckten.
»Wissen Sie, wo man hier ein Auto mieten kann?«, fragte sie einen älteren Mann mit dickem Bauch und noch dickerem Golfbag.
Er zeigte Richtung Zollkontrolle und dann nach rechts.
Sie stopfte ihre Jacke in die Reisetasche und folgte dem Strom.
Eine Etage tiefer öffnete sich eine ebenso große Halle voller Autovermietungen. Sie ging zögernd an der Reihe der Schalter vorbei. Da war alles vertreten: die üblichen wie Hertz und Avis, andere, billigere Varianten mit enormen Schlangen davor, und ganz am Ende drängten sich ein paar lokale Firmen.
Schließlich hatte sie das Ende der Halle erreicht.
In der Ecke befand sich ein kleiner Schalter, hinter dem eine müde junge Frau unter einem Schild mit der Aufschrift »Helle Hollis« saß und vor sich hin dämmerte.
Ach, was soll’s, dachte Annika und mietete einen Ford Escort.
Sie brauchte eine Viertelstunde, um in dem gigantischen Parkhaus ihren Wagen zu finden. Er war klein, blau und nichtssagend. Sie warf ihre Reisetasche in den Kofferraum und legte Handtasche, Notizblock, Handy, Kameratasche, den im Flughafenbuchladen neu gekauften Reiseführer und die Landkarte der Autovermietung auf den Beifahrersitz.
Sie zwängte sich hinters Steuer und schaltete das Handy an.
Clobbes schlecht geschriebenen Text hatte sie in Arlanda im Web gelesen. »Tod im Paradies« schrie die Schlagzeile. In seinem kurzen Brottext häuften sich die Floskeln derart, dass man die Klischee- WM damit hätte gewinnen können. Am Himmel scheint die Sonne, aber in den Herzen der Menschen ist es kalt und fins-ter. Sie wollten ein ruhiges Leben führen und fanden jäh einen schlimmen Tod.
Schon da hatte sie beschlossen, auf jegliche Form von Arbeitsteilung mit Clobbe zu verzichten.
»Sie haben … vier … neue Nachrichten«, verkündete ihre elektronische Mailboxstimme.
Die erste war von Patrik, der ihr befahl, sofort nach der Landung in der Redaktion anzurufen.
Die zweite war von Patrik, der fragte, ob sie immer noch nicht gelandet sei.
Die dritte war von Patrik, der aufgeregt brüllte, die spanische Polizei habe bestätigt, dass es sich bei den Toten des Gasüberfalls um Sebastian Söderström und seine Familie handle, und wie es angehen könne, dass sie von dieser Information nichts wisse, wo sie doch verdammt noch mal da unten sei!
Die vierte war von Berit.
»Wir haben es so aufgeteilt«, sagte ihre Kollegin auf dem Anrufbeantworter, und Annika konnte hören, dass sie in irgendwelchen Papieren blätterte. »Ich mache den Kasten mit Sebastian Söderströms Lebenslauf. Der Sport kümmert sich um die Hockeykumpel von der NHL und deren Kommentare. Du sollst drei Artikel schreiben: ›Alles über den Gasmord‹, ›So lebte die Familie an der Costa del Sol‹ und dann natürlich den Klassiker ›Eine Idylle unter Schock‹. Wir können uns sicher gegen Abend abstimmen. Also, viel Glück.«
Berit hatte ohne ein weiteres Wort aufgelegt.
Ein Mann kam auf Annika zu, fuchtelte wild mit den Armen und brüllte irgendwas, vermutlich, dass sie wegfahren solle, damit er sich auf ihren Platz stellen konnte.
Annika schlug die Tür zu und griff nach Handy und Notizblock.
Der Mann klopfte an ihr Seitenfenster.
Sie ließ die Scheibe einen Zentimeter herunter.
»Was ist?«, fragte sie.
Er fuchtelte und zischte, und sie tat, als verstünde sie
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