Kalter Süden
Schweden gezogen, deshalb hatte er die Kinder nur in den Ferien.
Die Frau, die ebenso wie Veronica eine Swea war, was immer das nun sein mochte, schien die Verstorbene gar nicht besonders gut gekannt zu haben – keiner der Anwesenden hatte das.
Annika knipste ein Foto von einigen der Sweas, brachte die Gäste dazu, sich als trauernde Gruppe ablichten zu lassen, und dann war sie fast fertig.
»Wirkt sich das, was passiert ist, irgendwie auf Ihr Leben aus?«, fragte sie.
Ein großer, blonder Typ, der sich bisher noch nicht geäußert hatte, trat vor und ergriff das Wort.
»Ich finde, man sieht mal wieder, wie wichtig es ist, einen Gasmelder zu haben«, sagte er. »Wie ihr wisst, verkaufe ich erstklassige Alarmanlagen in meinem Eisenwarengeschäft in San Pedro. Ich glaube, dass alle, die sich noch keinen Gasmelder angeschafft haben, das jetzt tun sollten. Wir haben morgen bis 14 Uhr geöffnet …«
Auf einmal merkte Annika, dass sie nicht mehr konnte.
Sie ging zu Carita Halling Gonzales. Die Dolmetscherin war in ein Gespräch mit zwei Männern vertieft, die knielange helle Hosen trugen. Annika tippte ihr auf die Schulter.
»Ich bin fertig«, sagte sie, und die Dolmetscherin stand sofort auf.
Sie verabschiedeten sich, winkten und verließen das Lokal.
»Das ging doch ganz gut«, sagte Carita, als sie ins Auto stiegen. »Wohin jetzt?«
»Jetzt muss ich daraus einen Artikel machen«, sagte Annika und ließ den Motor an. »Soll ich Sie nach Hause fahren?«
»Das ist wirklich nett von Ihnen, aber Sie würden nie zurück zum Hotel finden. Geradeaus, Hotel Pyr liegt gleich um die Ecke. Außerdem steht mein Auto im Parkhaus von El Corte Inglés. Hier ist übrigens das Jahrbuch der Schule. Lassen Sie mich einfach vor dem Hotel raus. Ich setze die Parkgebühren mit auf die Rechnung, ist das okay?«
»Natürlich«, sagte Annika.
Sie bekam ein gebundenes Buch in die Hand gedrückt, gedruckt auf Hochglanzpapier.
»Was heißt das übrigens, dass Veronica eine Swea war?«
»Sie war Mitglied in der Swedish Women’s Educational Association, SWEA . Die sind überall. Eine Freundin meiner Mutter hat die Vereinigung Ende der Siebzigerjahre in Los Angeles gegründet.«
»Sind Sie auch Mitglied?«
»Wer, ich? Nein, dafür habe ich keine Zeit. Hier abbiegen.«
Eine Minute später bremste Annika vor dem Hotel.
»Nur eins noch«, sagte sie. »Wird der Tod der Familie Söderström sich irgendwie auf das Leben der Schweden an der Costa del Sol auswirken?«
»Auf jeden Fall«, antwortete Carita. »Die Leute werden nach dieser Sache viel vorsichtiger sein. Bis morgen!«
Sie schlug die Autotür zu und stöckelte in ihren hohen Stiefeln auf dem Bürgersteig davon.
Annika atmete auf. Die Leute werden nach dieser Sache viel vorsichtiger sein.
Damit hatte sie das letzte Zitat des Tages.
Die Dunkelheit kam schnell. Von der Autobahn hörte man schwaches Rauschen. Die starken gelben Lampen, die die Baustelle säumten, warfen harte Schatten in den Raum.
Annika ließ die Schultertasche, die Kameratasche und die Plastiktüte mit den ganzen Büchern und Karten aufs Bett fallen und ging zum Fenster, um die Vorhänge zuzuziehen.
Doch anstatt die Schatten auszusperren, blieb sie am Fenster stehen und sah hinaus auf die bunte Landschaft.
Ein einsamer, trauriger Tennisplatz lag unter ihrem Fenster. Zwei der Scheinwerfer waren kaputt und verbargen den hinteren Teil des Spielfeldes im Dunkeln.
Auf der anderen Seite der Autobahn kletterte die Bebauung aus dem Tal heraus und auf ein gigantisches Bergmassiv zu. Sie sah die erleuchteten Fenster, Neonschilder und Straßenlaternen in der Dunkelheit glühen und schimmern. Dahinter begann das Gebirge, weit in der Ferne ragte die Sierra Nevada mit ihren zwanzig über 3000 Meter hohen Gipfeln auf, ihre Ausläufer zeichneten sich wie schwarze Riesen gegen den Sternenhimmel ab.
Sie öffnete das Fenster, und Wind und Abgase schlugen ihr ins Gesicht. Der Abend war immer noch mild. Sie schloss die Augen.
Die Kinder hatten jetzt gegessen. Sie hatten wahrscheinlich Kinderfernsehen geguckt, aber das war um diese Zeit längst vorbei. Ellen war dabei vermutlich fast eingenickt, und dann würde es absolut unmöglich sein, sie anschließend zum Einschlafen zu bringen, und morgen früh würde sie so umgänglich sein wie ein Wespenschwarm.
Sie schloss das Fenster, griff nach dem Handy und wählte Thomas’ Mobilnummer. Er war kurz angebunden, als er sich meldete.
»Seid ihr gerade beim Essen?«, fragte
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