Kalter Süden
dem Marbella International College, bis zum IB -Examen mit achtzehn Jahren.«
Es entstand Gemurmel unter den Gästen. Lasse nickte.
»Ja«, sagte er, »einen Platz auf dem MIC . Das Mädchen, das gewann, war zehn. Diese Siegprämie kostete Sebbe eine knappe Million, aber er war einfach nur glücklich darüber. ›Sie ist phantastisch‹, sagte er, ›sie wird es unheimlich weit bringen. Ist es nicht wunderbar, sie all die Jahre hindurch begleiten zu können, zu sehen, wie sie Fortschritte macht, dabei zu sein, wenn sie ihr Examen ablegt …‹«
Mehrere Frauen begannen laut zu schluchzen.
Annika überlegte, ob sie zur Kamera greifen sollte, beschloss aber, damit zu warten, bis die schlimmsten Heulattacken vorbei waren. Sie blickte hinunter auf ihre Notizen. Wer waren Klein Mü und Leo? Die toten Kinder?
Sie sah auf die Uhr, hoffentlich dauerte es nicht zu lange. Sie musste noch einmal Niklas Linde anrufen und fragen, ob sie schon eine Spur von den Mördern hatten. Sie hatte drei Artikel zu schreiben und wollte früh ins Bett, denn der morgige Tag würde sicher hart werden.
»Was ist mit Sebastians Frau«, fragte sie deshalb laut und deutlich, »hat sie jemand gekannt?«
Eine Frau mit blondem Pagenkopf und Designerjeans stand auf.
»Vivve war eine Swea«, sagte sie, »deshalb haben wir sie alle gekannt.«
Nahezu sämtliche Frauen nickten bestätigend.
Vivve war eine Swea, was zum Teufel bedeutete das?
Annika machte sich eine Notiz auf dem Block und starrte auf das Papier, um ihre Verwirrung zu kaschieren. Sie wartete darauf, dass die Frau weitersprach.
»Obwohl sie mit den Kindern und der Schule und Sebastian schon genug eingespannt war, hatte Vivve immer Zeit für die Vorstandsarbeit, und man darf nicht vergessen, dass sie sich auch noch um ihre Mutter gekümmert hat und um Suzette, wann immer sie hier unten war …«
»Hatte sie einen Job?«, fragte Annika, und die Frau zuckte zusammen. Dann kräuselte sie pikiert die Lippen.
»Ja, Vivve hat gearbeitet, aber das mit dem Job ist hier nicht so wichtig wie oben in Schweden«, erwiderte sie und setzte sich.
Autsch, dachte Annika, da habe ich wohl einen wunden Punkt erwischt.
»Soweit ich verstanden habe, war Familie Söderström in der schwedischen Kolonie an der Küste sehr bekannt und beliebt«, sagte sie rasch und hoffte, die richtigen Worte gefunden zu haben. Das hatte sie offenbar, denn alle murmelten zustimmend.
»Veronica hat ja von klein auf hier gelebt«, meldete sich eine ältere Frau zu Wort, die allein an einem Tisch in der Nähe der Küche saß und eine fast leere Weinflasche vor sich stehen hatte. Annika musste den Hals recken, um sie sehen zu können.
»Veronica Söderström ist also in Spanien aufgewachsen?«, hakte sie nach.
Die Frau fingerte an ihrem Glas herum, ihr Blick flackerte.
»Ich bin zur selben Zeit hergekommen wie Astrid, ihre Mutter. Astrid hat nur Freude um sich verbreitet. Und Veronica war das hübscheste Kind, das man sich vorstellen kann, und dann ist sie ja auch Fotomodell geworden …«
Die alte Dame schien ihren Erinnerungen nachzuhängen.
Astrid musste die tote Schwiegermutter sein.
»Wie lange kannten Sie Astrid?«, fragte Annika.
Die Frau füllte ihr Glas nach.
»Fast vierzig Jahre. Sie war meine Brautjungfer, als Edgar und ich heirateten, und sie saß neben mir, als ich ihn letztes Jahr beerdigt habe. Skål, auf dich, Astrid!«
Die Frau schwenkte ihr Glas, und auf einmal merkte Annika, wie es ihr den Hals zuschnürte. Sie musste sich räuspern. Sie stand auf, ging zu der alten Dame hinüber und setzte sich neben sie. Die Gäste entnahmen daraus, dass das Masseninterview vorbei war, und unterhielten sich weiter.
Annika fragte die Frau nach ihrem Namen und ihrem Alter und ob sie ein Foto von ihr machen dürfe.
Sie hieß Maj-Lis, war neunundsechzig und mit einem Foto einverstanden, wenn es denn sein musste.
Annika machte ein paar Frontalaufnahmen mit Blitz – nur keinen künstlerischen Schnickschnack hier drinnen –, dann legte sie der Frau tröstend die Hand auf den Arm und ging weiter zu Lasse, wo sich das Spiel wiederholte.
Er hatte Sebastian fünf Jahre gekannt. Sie hatten sich kennengelernt, als Lasse Sebastians Tennisclub beigetreten war, einem ziemlich kleinen Club mit nur fünf Plätzen, aber einer phantastischen Aussicht, oben in El Madroñal. Lasses Kinder waren im gleichen Alter wie Klein Mü und Leo, acht und fünf, aber Lasse war inzwischen geschieden und seine Exfrau zurück nach
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