Kalter Süden
Welt?«
»Sie hat sehr viel Ähnlichkeit mit ihrem Vater, sie ist sehr athletisch. Sebastian ist auch ein ganz ausgezeichneter Tennisspieler.«
Annika machte sich nicht die Mühe, sein »ist« zu einem »war« zu korrigieren.
»Aber jetzt ist es zu spät«, fuhr Francis fort. »Sie hätte sich stärker auf das Training konzentrieren müssen, als sie jünger war.«
»Haben Sie schon gehört, dass sie verschwunden ist?«
Francis nickte.
»Wissen Sie, wo sie ist?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
Er überlegte einen Moment.
»Muss am Donnerstag gewesen sein. Sie war hier, um eine Trainingsstunde abzusagen. Sie sagte, sie wollte auf eine Silvesterparty bei einer Freundin und dort auch übernachten.«
»Hat sie gesagt, bei welcher Freundin?«
Der Tennislehrer ließ den Blick über die Plätze schweifen.
»Amira? Oder hieß sie Samira? So genau merkt man sich die Namen all dieser Mädchen ja nicht. Kann auch Akira gewesen sein …«
»Wissen Sie, wo … diese Freundin wohnt?«
Er ging um die Theke herum, hinüber zum Empfang und sank dort auf den Stuhl. Annika ging ihm nach.
»Glauben Sie, dass sie sich bei Ihnen melden wird? Sie hat doch sicher ein Handy?«
Francis hob ein paar Blätter auf und steckte sie in eine Mappe.
»Sie hat versucht, mit ihrem Handy zu telefonieren, als sie hier war, meinte dann aber, dass es kaputt ist und nicht richtig funktioniert. Das hat sie unheimlich geärgert.«
»Kann es sein, dass sie vielleicht nur so getan hat?«
»Nur so getan? Wie meinen Sie das?«
»Könnte sie das mit dem Telefon nur inszeniert haben, damit Sie sich später keine Gedanken machen, falls sie nicht ans Handy geht?«
Der Trainer dachte nach.
»Nein«, sagte er entschieden und klappte den Ordner zu. »Suzette ist nicht so berechnend. Dafür ist sie viel zu impulsiv. Sie könnte niemals Theater spielen.«
»Haben Sie eine Ahnung, wo sie sich versteckt halten könnte?«
Francis ließ die Hände sinken.
»Haben Sie schon mal im Reitstall gesucht? Da ist ihr die Zeit nie lang geworden. Pferde sind das Einzige, was ihr wirklich etwas bedeutet.«
Schweigend fuhren sie zurück zum Hotel Pyr.
»Sie ist also bei einer Akira Amira Samira«, sagte Carita schließlich.
»Wohl kaum«, entgegnete Annika. »Wenn sie wirklich vorhatte abzuhauen, hätte sie ihrem Trainer bestimmt nicht gesagt, bei wem sie unterkriechen wollte.«
»Meinen Sie im Ernst, sie ist weggelaufen?«, fragte Carita. »Glauben Sie nicht, dass ihr etwas zugestoßen ist?«
Mitten in einem Kreisverkehr bremste Annika. Inzwischen erkannte sie die Engländer, die immer in die falsche Richtung schauten.
»Dafür, dass sie so impulsiv sein soll, wirkt sie auf mich ziemlich durchtrieben. Sie ruft ihre Mutter an und sagt ihr, dass sie bei Vibeke Jensen wohnt, und zu Vibeke Jensen sagt sie, dass sie zurück nach Schweden fliegt. Ihrem Tennistrainer erzählt sie, dass sie auf eine Party will und bei einer Freundin übernachtet, und außerdem demonstriert sie, dass ihr Handy kaputt ist. Hört sich für mich nach einem erstklassigen Ausreißerplan an.«
»Was hat sie wohl ihrem Vater gesagt?«, sinnierte Carita.
»Tja«, sagte Annika und fuhr auf die Autobahnauffahrt, »das werden wir wohl nie erfahren.«
»Werden Sie das alles der Polizei melden, wenn sie nicht bald auftaucht?«
»Ich habe vor, einen Artikel darüber zu schreiben«, sagte Annika.
»Wollen Sie heute Abend nicht zu uns kommen? Wir müssen um zwei Uhr zu einem großen Mittagessen in Estepona, aber für heute Abend haben wir nur eine kleine Gesellschaft eingeladen, ein paar Nachbarn kommen, und es gibt Tapas …«
Annika antwortete nicht sofort und bog Richtung Hafen ab. Ob sie ihr das Essen hinterher wohl auch in Rechnung stellen würde?
»Ich habe heute noch eine Menge zu schreiben«, sagte sie, »und ich glaube …«
»Essen musst du ja ohnehin. Ich darf doch du sagen? Komm einfach so zwischen halb neun und neun. Du brauchst ja nicht gleich bei uns zu übernachten.«
Annika lächelte und hielt vor dem Hotel.
»Und wie finde ich zu euch?«
»Du musst einfach durch sieben Kreisverkehre geradeaus fahren. Ich schicke dir eine genaue Wegbeschreibung per Mail.«
Die Dolmetscherin öffnete die Tür, sprang hinaus und klapperte auf ihren hohen Absätzen davon.
Annika stellte den Wagen ab und ging auf ihr Zimmer. Sie schaute auf die Uhr. Sie würde es gerade noch schaffen, eine Kleinigkeit zu essen und das Interview zu schreiben, bevor
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