Kalter Tee und heiße Kuesse
sie ja die Richtige für dich zu sein“, meinte Johanna trocken und runzelte die Stirn. „Was genau haben wir vorhin gesagt? Was hat sie zu der Annahme veranlasst, dass wir beide“, sie machte eine Kunstpause, „ein Verhältnis haben?“
„Ich hab dir die Geschichte mit Sophie erzählt, mit diesem Praktikum bei diesem englischen Radiosender, und dann hast du gesagt, es sei eine einmalige Sache und sie solle sich lieber auf ihr Studium konzentrieren.“
Sophie war Magnus’ jüngere Schwester, die derzeit in London studierte, hin und wieder Gelegenheitsjobs und Praktika annahm und dann meinte, genau dieser Job sei der richtige für sie. Sie und Magnus schickten sich regelmäßig Mails, und heute hatte sie versucht, Magnus telefonisch zu erreichen, und – als das nicht ging – bei Johanna angerufen und ihr ausschweifend und völlig begeistert erzählt, dass sie ihrem Bruder etwas unglaublich Wichtiges mitzuteilen hätte. Später hatte sie Magnus dann gemailt, dass sie das Studium abbrechen würde, um Radiomoderatorin zu werden. Deswegen wollte Magnus sie gleich morgen zurückrufen, um sie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, was nicht das erste Mal passierte.
„Ja, und dann hast du mir einen Kuss gegeben“, erinnerte sich Magnus weiter.
„Na und?“ Johanna echauffierte sich. „Ich gebe dir Küsse, seitdem du auf der Welt bist.“
„Das weiß Lena aber nicht. Es ist doch völlig klar, was sie denken muss. Versetz dich einfach mal in ihre Situation.“
Johanna dachte kurz nach. „Stimmt. Wo du recht hast, hast du recht. Dann hab ich noch gesagt, dass du nicht vergessen sollst, was du mir versprochen hast. Du weißt, was ich damit gemeint habe.“
„Sicher.“ Magnus nickte langsam. „Ich soll mit Papa sprechen. Nur, Johanna, das Wichtigste habe ich dir noch gar nicht erzählt.“
Johanna verdrehte die Augen. „Was kommt denn jetzt noch?“
Lena lag in Fabrizios Bett und weinte. Seit Stunden weinte sie, und Fabrizio war fassungslos. Wo kam das ganze Wasser nur her? Sie war zu ihm gekommen, bepackt mit zwei Reisetaschen, und hatte atemlos gerufen: „Kann ich bei dir bleiben?“, und dann war sie in seine Arme gestürzt und meinte, nie im Leben würde sie jemals wieder lachen können, und Magnus sei ein Schwein, und Johanna Melchior auch, und er, Fabrizio, hätte ja so recht gehabt, sie hätte den Wein lieber allein trinken sollen, und wie konnte sie sich nur auf diesen Mann einlassen, und die Dickie-Dick-Kampagne wäre ihr doch ganz egal, und die Septembersonne hätte er ihr auch gestohlen. Fabrizio verstand gar nichts und erst recht nicht, dass einem jemand die Septembersonne stehlen konnte, aber wenn sich Lena erst einmal beruhigt hatte, würde er sie fragen. Nun stand Fabrizio in seiner großen Hightech-Küche und überlegte, was er seiner besten Freundin Gutes tun konnte. Die gebratenen Wachteln, die er sich eigentlich gerade zubereiten wollte, würde sie ihm mit Sicherheit an den Kopf werfen. Er strich sich über die Glatze und überlegte weiter. Dann schaute er auf seinen im Kühlschrank eingebauten Fernseher, in dem gerade eine Dokumentation über die romantischen Schlösser und Burgen am Rhein lief, und plötzlich kam ihm eine Idee. Er lief ins Schlafzimmer zurück. Mittlerweile hatte Lena ungefähr siebentausend benutzte Papiertaschentücher um sich geschart und wimmerte leise vor sich hin. Es sah ein wenig so aus, als würde sie in einer Schneelandschaft liegen.
Energisch zog Fabrizio sie hoch. „Aufstehen, meine Schöne“, sagte er in bestimmtem Ton. „Wir beide werden verreisen. Und zwar auf der Stelle.“
„Sie hat gekündigt. Fristlos.“ Ratlos sah Johanna Magnus an. Der war kalkweiß im Gesicht. „Fabrizio“, sagte er dann. „Ich muss Fabrizio anrufen.“ Johanna suchte in ihrem Adressbuch Fabrizios Nummer, griff sich das Telefon, wählte schnell und hielt Magnus den Hörer hin. Nach dem zwanzigsten Freizeichen gab er es auf. Dann probierte er es auf Fabrizios Handy, doch da sprang nur die Mailbox an. Er hinterließ eine Nachricht mit der Bitte, er möge ihn doch dringend zurückrufen.
„Was sollen wir denn jetzt nur tun?“, fragte er Johanna verzweifelt und müde vom Nachdenken. Doch selbst die war ratlos. „Dieses dumme Ding“, sagte sie nur. „Dieses dumme Ding. Ganz ehrlich, so kenne ich sie gar nicht. Um noch ehrlicher zu sein, für mich war sie immer so ein kleines, graues Mäuschen. Ich hab sie gar nicht wirklich wahrgenommen, ich wusste nur, wie gut
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