Kalter Tee und heiße Kuesse
klarmachen, dass das eine einmalige Sache gewesen ist?“ Sie senkte die Stimme, und deswegen konnte Lena ihre nächsten Worte nicht hören. Sie bekam kaum noch Luft. Einmalige Sache? Was hatte das zu bedeuten?
„Ich werde mit ihr telefonieren, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Gleich morgen. Heute Abend ist es etwas ungünstig.“ Also wollte er wohl aus der einmaligen Sache eine zweimalige machen. Und davor noch schön Schweinelendchen futtern. Lena hielt die Luft an. Sie beugte sich ein wenig weiter vor, immer darauf bedacht, dass sie nicht gesehen wurde. Nein! Johanna Melchior hatte den Arm um Magnus gelegt und schmiegte sich an ihn. Dann küsste sie ihn. Zwar konnte Lena nicht genau sehen, wohin sie ihn küsste, aber sie küsste ihn, daran gab es nichts zu deuteln.
Schließlich stand Johanna Melchior auf und küsste Magnus noch mal. „Und denk daran, was du mir versprochen hast.“ Sie hob den Zeigefinger. „Du wirst schon alles richtig machen. Und jetzt wünsche ich dir einen wunderschönen Abend.“
Diese Ziege. Sie gönnte Magnus also noch einen wunderschönen Abend, bevor sie ihn wieder ganz für sich beanspruchte. Die Melchior verließ das Café, und Magnus blieb sitzen und las in einer Zeitung. Klar, er hatte ja auch noch eine Stunde Zeit, bevor er sich bei ihr, Lena, an den gedeckten Tisch setzen konnte. Lena griff nach den Einkaufstüten, die auf dem Boden standen, und ging zielstrebig auf Magnus zu. „Hallo“, sagte sie mit kalter Stimme.
Erstaunt blickte Magnus auf. „Hallo! Was machst du denn hier? Wolltest du nicht schon längst zu Hause sein und kochen?“
„Das muss ich nicht mehr, das tue ich bereits“, entgegnete Lena. „Du kannst dir das Essen an den Hut stecken, dass du das weißt.“ Sie schleuderte die Tüten mit voller Wucht auf den Tisch, sodass die beiden Tassen, die darauf standen, umkippten. Ein Teil des Kaffees landete auf Magnus’ Hose.
„Du mieser Kerl!“, schrie Lena und musste aufpassen, dass sie nicht zu heulen anfing. „Eine einmalige Sache bin ich also für dich? Und heute darfst du noch mal ran, ja? Und dann steigst du wieder mit der Melchior ins Bett! Du bist ekelhaft! Widerlich! Tritt mir bloß nie wieder unter die Augen!“
Ohne eine Antwort von Magnus abzuwarten, drehte sie sich um und rannte aus dem Café. Magnus starrte auf die Kartoffeln, die herumlagen. Dann stützte er den Kopf in beide Hände. Er war weiß im Gesicht. „Mist“, sagte er leise zu sich selbst. „Verdammter Mist.“
Lena rannte die Straße entlang, zurück zur Agentur. Nach heute Abend würde sie nie wieder einen Fuß in ihr Büro setzen. Sie würde weder Magnus noch Frau Melchior je wiedersehen. Hektisch fuhr sie mit dem Fahrstuhl nach oben, schnappte sich in der Poststelle einen Karton, ging in ihr Büro und fing an, wahllos ihre persönlichen Sachen aus den Schreibtischschubladen zu reißen. Sollten doch alle sehen, wo sie blieben. Dieser miese Hund. Sie so auszunutzen. Und wie gönnerhaft die Melchior doch war. Ab und an durfte ihr junger Lover mal mit Gleichaltrigen rummachen. So eine Gemeinheit. Und sie war darauf reingefallen. Wütend zerrte sie an der oberen Schublade, die immer klemmte. In der lag ihr Buchmanuskript, und das würde sie auf gar keinen Fall hier zurücklassen. Mit einem Ruck riss sie die komplette Schublade heraus. Dann schaute sie genauer hin. Sie war leer.
Lena lag im Bett, ignorierte die Türklingel und das Läuten des Telefons. Sie starrte an die Decke und versuchte, nicht durchzudrehen. Magnus’ Stimme quakte irgendetwas auf den Anrufbeantworter, aber sie würde einen Teufel tun und sich seine faden Entschuldigungen anhören. Und seine lange Geschichte, die er ihr heute Abend erzählen wollte, konnte er gefälligst jemand anderem erzählen. Und dass er die Melchior schon so lange kannte, auch. Lena trank einen Schluck Tee. Bloß half das auch nichts. Was ihr zusätzlich zu der ganzen Geschichte große Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass das Manuskript weg war. Sie hatte es doch letztens noch gelesen. Wann war das nur? Es war nicht lange her. In ihrem Kopf ging alles durcheinander, deswegen konnte sie sich an gar nichts erinnern.
Woher hätte sie auch wissen sollen, dass Magnus, der am Morgen nach ihrem ersten Sex als Erster in der Agentur war, die einzelnen Manuskriptblätter, die sie kurz vor seinem abendlichen Erscheinen noch gelesen hatte, vom Boden aufgehoben hatte? So ziemlich alles war vom Schreibtisch hinuntergefallen. Während er das
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