Kalter Tee und heiße Kuesse
Schmerzen auf, ließ Lena los und strauchelte. Und Lena, deren Perücke verrutscht war und die einfach nur völlig verwirrt war, stieß Magnus mit voller Wucht von sich weg, sodass er strauchelte und mit Fabrizio hintenüberfiel.
„Was ist denn hier los?“
Lena drehte sich um. Davon mal ganz abgesehen, dass die Musik mittlerweile ausgestellt worden war, sich eine Menschentraube um sie gebildet hatte und sie noch überhaupt nicht verstanden hatte, was hier eigentlich vor sich ging, war sie von dem Anblick, der sich ihr nun bot, vollständig überfordert.
Johanna Melchior stand vor ihr und blickte sie fragend an. Neben ihr stand ein Mann Ende fünfzig, der genauso fragend schaute. Fabrizio, der unter dem Rücken dieses Gummimannes, der wie Magnus küsste, hervorkletterte, war die Sache offenbar äußerst peinlich. Die Leute im Raum murmelten so Sachen wie „Schlägt den armen Mann einfach nieder“, „Eine Frechheit“, „Gehört angezeigt“. Lena griff sich an den Kopf. Ihr wurde schwindlig. Nein, sie durfte jetzt nicht umkippen. Der Mann auf dem Boden regte sich. Mit einer fahrigen Bewegung zog seine eine Hand einen Reißverschluss auf, und zwar den, der sich über seiner Nase befand. Er klappte das schwarze Gummi zur Seite.
„Hallo Lena“, sagte Magnus. „Eigentlich wollte ich mich nur bei dir entschuldigen.“
Das Nächste, woran Lena sich erinnern konnte, war, dass sie den langen Weg von der Burg hinabrannte. Ein paar Mal stolperte sie, einmal fiel sie sogar hin, weil sie sich in den langen Röcken verhedderte. Mehrere Autos überholten sie, wahrscheinlich Besucher des Maskenballs, die die Nase genauso voll hatten wie sie.
Noch nie war sie in einer derartigen Situation gewesen. Wo kam Magnus plötzlich her, und warum trug er diesen komischen Anzug? War er ein Teufel in Menschengestalt? Wer hatte die Melchior benachrichtigt, und warum musste die in dem Moment aufkreuzen, als Magnus am Boden lag? Wer war der Mann, den sie im Schlepptau hatte? Wie konnte das alles nur passieren? Sie musste sofort, unverzüglich, auf der Stelle ins Hotel, ihre Sachen packen und zum Bahnhof fahren. Nur weg hier, weg, weg. Vielleicht war das Ganze ja von einem Fernsehsender inszeniert worden, und sie konnte sich bald bei RTL oder PRO 7 bewundern. Frei nach dem Motto Versteckte Kamera . Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Endlich, endlich kam sie im Hotel an. An der Rezeption war gerade niemand, deswegen ging sie zielstrebig an das Schlüsselbord, griff sich den Zimmerschlüssel der Hochzeitssuite und lief die Treppen hinauf. Umständlich nestelte sie mit dem Schlüssel im Schloss herum und musste zu allem Überfluss auch noch anfangen zu heulen. War das alles furchtbar. Alles, alles, alles. Nachdem sie die Tür endlich aufbekam, betrat sie die Suite und schlug die Tür schnell wieder zu. Mit geschlossenen Augen legte sie eine Wange an das kühle Holz und versuchte, gleichmäßig zu atmen. Da drang ihr ein intensiver Geruch in die Nase. Ein üppiger Geruch. Der Geruch von Sommer und Liebe. Es roch nach frischen Rosen.
„Also, ich verstehe überhaupt nichts mehr.“ Johanna Melchior stand mit Fabrizio und Bernhard an der Bar und trank ein Glas Rotwein. „Fabrizio, können Sie mir das bitte erklären?“
„Später.“ Fabrizio ordnete sein Kleid. „Aber eins können Sie mir glauben: Es wird alles gut.“
Nachdem Lena Hals über Kopf von Burg Rheinfels weggerannt war, hatte Fabrizio den Ernst der Lage erkannt, Magnus aufgeholfen und einen herumstehenden Taxifahrer gebeten, ihn unverzüglich ins Hotel zu bringen, was dieser auch widerspruchslos tat. Allein fahren konnte Magnus in diesem Zustand ganz sicher nicht. Magnus’ verwirrte Fragen: „Wieso denn, warum denn, aber wie denn?“ ignorierte er einfach. So kam es, dass Magnus viel früher im Hotel war, sich den Zweitschlüssel von der Inhaberin aushändigen ließ, die von Fabrizio Instruktionen bekommen hatte, und bereits in der Suite war, bevor Lena ankam. Sie waren sogar an Lena vorbeigefahren, aber er hielt es für besser, nicht anzuhalten. Sie hätte ihn umgebracht, so durcheinander, wie sie war. Was Fabrizio ebenfalls veranlasst hatte, war, dass die ganze Suite mit Rosenblättern ausgelegt worden war. Er, Fabrizio, hatte sich das alles so schön vorgestellt. Magnus und Lena würden sich auf dem Maskenball vertragen, alle Missverständnisse wären aus dem Weg geräumt, und die beiden würden eine wundervolle Nacht in der Hochzeitssuite verbringen, während
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