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Kalter Tod

Kalter Tod

Titel: Kalter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Wir haben den Fall letztes Jahr bei Offen-Ungelöst abgeschlossen. Damals hatten sie in den Datenbanken noch nicht viele Handflächen. Meine Partnerin und ich kamen über den Fall und ließen die Handfläche durch den Computer laufen. Wir bekamen einen Treffer. Wie sich herausstellte, lebte der Kerl draußen in der Wüste in Ten Thousand Palms, und wir fuhren hin, um ihn festzunehmen. Er zog seine Pistole und erschoss sich, bevor wir ihn verhaften konnten.«
    »Ganz schön verrückt.«
    »Allerdings. Ich fand es auch irgendwie verrückt.«
    »Was? Dass er sich umgebracht hat?«
    »Nein, das nicht. Ich fand es verrückt, dass uns seine Handfläche, seine palm, nach Ten Thousand Palms geführt hat.«
    »Ach so, ja, witzig. Sie kamen also nicht dazu, mit ihm zu reden?«
    »Nicht wirklich. Aber wir waren sicher, dass er es war. Und ich fasste es gewissermaßen auch als Schuldgeständnis auf, dass er sich vor unseren Augen erschoss.«
    »Klar, sicher. Es ist nur, dass ich gern mit diesem Typen geredet hätte, um ihn zu fragen, warum er den Hund umgebracht hat, mehr nicht.«
    Bosch sah seinen Partner kurz an.
    »Wenn wir noch dazu gekommen wären, mit ihm zu reden, hätte uns, glaube ich, mehr interessiert, warum er die Frau umgebracht hat.«
    »Natürlich, schon klar. Ich habe mich nur gefragt, warum den Hund, wissen Sie?«
    »Ich denke, er dachte, der Hund könnte ihn vielleicht identifizieren. Sie wissen schon, dass der Hund ihn wiedererkennen und in seiner Gegenwart irgendeine Reaktion zeigen würde. Das wollte er nicht riskieren.«
    Ferras nickte, als akzeptierte er diese Erklärung. Bosch war sie gerade erst eingefallen. Die Frage nach dem Hund hatte sich bei den Ermittlungen nie gestellt.
    Ferras wandte sich wieder seiner Arbeit zu, und Bosch lehnte sich zurück und dachte über den anliegenden Fall nach. Im Moment kam dabei nur ein wildes Durcheinander von Gedanken und Fragen heraus. Zuvorderst stand jedoch auch diesmal wieder die Frage, warum Stanley Kent umgebracht worden war. Alicia Kent hatte gesagt, die zwei Männer, die sie überfallen hatten, hätten Skimasken getragen. Jesse Mitford hatte gesagt, der Mann, der Kent oben am Aussichtspunkt erschossen hatte, hätte eine Skimaske getragen. Angesichts dessen drängte sich Bosch die Frage geradezu auf, warum sie Stanley Kent erschossen hatten, obwohl er sie doch gar nicht hätte identifizieren können? Aber vielleicht hatten sie die Masken auch nur getragen, um Kent in dem trügerischen Glauben zu lassen, sie würden ihn hinterher laufen lassen, damit er schneller auf ihre Forderungen einginge. Aber auch diese Erklärung erschien Bosch nicht wirklich schlüssig.
    Er legte die Fragen wieder beiseite und entschied, dass er noch nicht genügend Informationen hatte, um sich auf sinnvolle Weise mit ihnen zu befassen. Er nahm einen Schluck Kaffee und machte sich bereit, sich Jesse Mitford im Vernehmungszimmer noch einmal vorzuknöpfen. Aber vorher holte er sein Handy heraus. Vom Echo-Park-Fall hatte er immer noch Rachel Wallings Nummer in seinem Adressbuch gespeichert. Er hatte sich vorgenommen, sie nie zu löschen.
    Er machte sich darauf gefasst, dass sie ihre Nummer geändert hatte, als er auf die Taste drückte und sie anrief. Aber die Nummer stimmte noch. Als er jedoch ihre Stimme hörte, kam sie vom Band und forderte ihn auf, nach dem Pfeifton eine Nachricht zu hinterlassen.
    »Hier Harry Bosch«, sagte er. »Ich müsste über Verschiedenes mit dir reden, und ich will meine Zigarettenasche zurück. Das war mein Tatort.«
    Er legte auf. Er wusste, sie würde sich über die Nachricht ärgern, vielleicht sogar richtig. Er wusste, dass er unausweichlich auf einen Streit mit Rachel und dem FBI zusteuerte, der wahrscheinlich unnötig und leicht vermeidbar war.
    Aber Bosch brachte es nicht über sich, klein beizugeben. Nicht einmal für Rachel und die Erinnerung an das, was einmal zwischen ihnen gewesen war. Nicht einmal für die Hoffnung auf eine Zukunft mit ihr, die er immer noch wie die Nummer im Handy mit sich trug.

10
    Bosch und Ferras kamen aus dem Vordereingang des Mark Twain Hotel und inspizierten den neuen Tag. Das Licht begann gerade den Himmel zu erhellen. Vom Meer kam dichter grauer Dunst herein und vertiefte das Dunkel in den Straßen. Er ließ sie aussehen wie in einer Geisterstadt, aber Bosch störte das nicht. Es passte zu der düsteren Perspektive.
    »Meinen Sie, er wird auch wirklich nicht abhauen?«, fragte Ferras.
    Bosch zuckte mit den Schultern.

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