Kalter Tod
der Ausbildung in Quantico vom ersten Tag an eingebläut, und es ist jedem Agenten in jeder Außendienststelle jeder Stadt in Fleisch und Blut übergegangen. Niemand blamiert das FBI. Deshalb, wenn wir hier fertig sind und dem Kerl da hinten die Handschellen wieder abnehmen, wird er keiner Sterbensseele etwas davon erzählen, was wir getan haben oder dass wir auch nur hier waren. Warum, glauben Sie, haben Sie ihn vor dem Haus postiert? Weil er F-B-Einstein ist? Ah-ah. Er hat eine Scharte auszuwetzen – entweder für sich oder für das FBI. Und er wird absolut nichts tun oder sagen, was ihm zusätzlichen Ärger einträgt.«
Bosch hielt inne, um Ferras antworten zu lassen. Das tat dieser aber nicht.
»Darum, lassen Sie uns hier schnell machen und das Haus durchsuchen«, fuhr Bosch fort. »Als ich heute Nacht hier war, hat sich erst mal alles um die Witwe gedreht, und dann mussten wir gleich wieder weg ins Saint Aggy’s. Deshalb will ich mir jetzt Zeit lassen, aber zugleich auch keine verlieren, wenn Sie wissen, was ich meine. Ich will das Haus bei Tageslicht sehen und den Fall eine Weile durchkauen. Das ist, wie ich es gern mache. Sie würden staunen, was dabei manchmal herauskommt. Was man dabei immer im Auge behalten muss, ist, dass es immer einen Transfer gibt. Irgendwo in diesem Haus haben die zwei Mörder eine Spur hinterlassen, und ich glaube, sowohl die Spurensicherung als auch alle anderen haben sie übersehen. Es muss einen Transfer geben. Und den suchen wir jetzt.«
Ferras nickte.
»Okay, Harry.«
Bosch klopfte ihm auf die Schulter.
»Gut. Ich fange im Schlafzimmer an. Sie nehmen sich das Arbeitszimmer vor.«
Bosch ging den Flur hinunter und war an der Schwelle des Schlafzimmers, als Ferras wieder seinen Namen rief. Bosch drehte sich um und ging zu der Arbeitsnische zurück. Sein Partner stand am Schreibtisch.
»Wo ist der Computer?«, fragte Ferras.
Bosch schüttelte frustriert den Kopf.
»Er war auf dem Schreibtisch. Sie haben ihn mitgenommen.«
»Das FBI?«
»Wer sonst? Im SID-Verzeichnis war er nicht, nur das Mauspad. Dann sehen Sie sich einfach nur um, durchsuchen Sie den Schreibtisch. Schauen Sie, was Sie sonst finden können. Wir nehmen nichts mit. Wir schauen nur.«
Bosch ging den Flur hinunter zum Schlafzimmer. Es schien unverändert, seit er es zum letzten Mal gesehen hatte. Wegen der verschmutzten Matratze hing noch schwacher Uringeruch in der Luft.
Er ging zum Nachttisch auf der linken Seite des Betts. Über die Knöpfe der zwei Schubladen und über alle planen Oberflächen war schwarzes Fingerabdruckpulver gestäubt. Auf dem Nachttisch standen eine Lampe und ein gerahmtes Foto von Stanley und Alicia Kent. Bosch hob das Foto hoch und betrachtete es. Das Ehepaar stand neben einem blühenden Rosenstrauch. Alicia Kents Gesicht war schmutzverschmiert, aber sie lächelte stolz, als stünde sie neben ihrem eigenen Kind. Bosch konnte sehen, dass der Rosenstrauch ihr Werk war, und im Hintergrund waren noch mehr davon zu erkennen. Weiter den Hügel hinauf waren die drei ersten Buchstaben des Hollywood-Schilds zu sehen, und er merkte, dass das Foto wahrscheinlich im Garten hinter dem Haus gemacht worden war. Solche Aufnahmen des glücklichen Paares würde es jetzt nicht mehr geben.
Bosch stellte das Foto zurück und öffnete die Schubladen. Sie waren voller persönlicher Dinge, die Stanley Kent gehörten. Verschiedene Lesebrillen, Bücher und Medikamente. Die untere Schublade war leer, und Bosch erinnerte sich, dass Kent dort seine Pistole aufbewahrt hatte.
Bosch schloss die Schubladen und stellte sich in die Zimmerecke neben dem Nachttisch. Er suchte nach einem neuen Blickwinkel, einer neuen Sicht auf den Tatort. Er merkte, dass er dafür auch die Fotos vom Tatort bräuchte, aber er hatte sie in einem Ordner im Auto gelassen.
Er ging zum Eingang zurück. Als er ins Wohnzimmer kam, sah er Maxwell vor dem Sessel, auf den er ihn gesetzt hatte, auf dem Boden liegen. Es war ihm gelungen, seine gefesselten Hände nach unten über sein Gesäß zu streifen. Seine Beine waren stark angezogen, die Handgelenke immer noch hinter ihm aneinandergekettet. Er schaute mit rotem und schweißüberströmtem Gesicht zu Bosch hoch.
»Ich stecke fest«, sagte Maxwell. »Helfen Sie mir.«
Fast hätte Bosch gelacht.
»Gleich.«
Er ging nach draußen zum Wagen und holte die Ordner mit den Tatortprotokollen und Fotos der Spurensicherung. Sie enthielten auch eine Kopie des gemailten Fotos von Alicia Kent.
Als
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