Kalter Tod
vertrat, der Irak-Krieg sei ein von den Amerikanern geplanter Genozid an Muslimen.
Samirs fünfzehn Minuten Berühmtheit nahmen den gewohnten Gang. In den Medien wurde er schließlich als narzisstischer Provokateur abgestempelt, der mit seinen überspitzten Äußerungen nur sich selbst ins Rampenlicht zu rücken versuchte, statt vernünftige Denkanstöße zu aktuellen Tagesthemen zu geben. Unter anderem hatte er eine seiner Organisationen YMCA genannt – Young Muslim Cause in America –, worauf die alteingesessene Jugendorganisation mit derselben international anerkannten Abkürzung einen aufsehenerregenden Prozess gegen ihn anstrengte.
Samirs Stern war im Niedergang begriffen, und er verschwand aus dem Scheinwerferlicht des öffentlichen Interesses. Bosch konnte sich nicht erinnern, wann er ihn zum letzten Mal im Fernsehen oder in der Zeitung gesehen hatte. Aber einmal von all den provokativen verbalen Äußerungen abgesehen, war für Bosch der Umstand, dass Samir in einer Zeit, in der das Klima in den Vereinigten Staaten von der Angst vor dem Unbekannten und dem Wunsch nach Vergeltung enorm aufgeheizt gewesen war, keiner Straftat angeklagt worden war, ein untrügliches Zeichen dafür, dass da tatsächlich nichts war. Wenn hinter all dem Rauch Feuer gewesen wäre, säße Ramin Samir in einer Gefängniszelle oder hinter einem Zaun in Guantánamo Bay. Aber er war hier, in einem Haus in Silver Lake, und Bosch war skeptisch, was Captain Hadleys Behauptungen anging.
»Jetzt erinnere ich mich wieder an diesen Kerl«, sagte er. »Das waren doch alles nur leere Worte, Captain. Es gab nie eine konkrete Verbindung zwischen Samir und …«
Wie ein Lehrer, der um Stille gebot, hob Hadley den Finger.
»Es wurde ihm nie eine konkrete Verbindung nachgewiesen« , korrigierte er Bosch. »Aber das hat nichts zu besagen. Dieser Kerl sammelt Spenden für den palästinensischen Dschihad und andere muslimische Organisationen.«
»Den palästinensischen Dschihad?«, fragte Bosch. »Was soll das sein? Und was für muslimische Organisationen? Wollen Sie damit sagen, muslimische Organisationen können nicht legitim sein?«
»Alles, was ich damit sagen will, ist, dass wir es hier mit einem Zeitgenossen übelster Sorte zu tun haben und dass ein Auto, das bei einem Mord und einem Zisiumraub zum Einsatz kam, vor seinem Haus steht.«
»Caesium«, sagte Ferras. »Was gestohlen wurde, war Caesium.«
Nicht gewohnt, korrigiert zu werden, kniff Hadley die Augen zusammen und sah Ferras kurz durchdringend an, bevor er fortfuhr.
»Egal, wie das Zeug heißt. Es macht keinen großen Unterschied, wie Sie es nennen, junger Mann, wenn er es in den Wasserspeicher dort drüben kippt oder gerade in seinem Keller eine Bombe damit bastelt, während wir hier auf unseren Durchsuchungsbefehl warten.«
»Laut FBI handelt es sich nicht um eine durch Wasser übertragbare Bedrohung«, flocht Bosch ein.
Hadley schüttelte den Kopf.
»Das spielt doch keine Rolle. Tatsache ist, es ist eine Bedrohung. Das hat das FBI doch sicher auch festgestellt. Das FBI kann ja gern große Reden schwingen. Wir werden etwas unternehmen. «
Bosch machte einen Schritt zurück, um etwas frische Luft in die Diskussion einfließen zu lassen. Es ging alles zu schnell.
»Sie wollen also da reingehen?«, fragte er.
Hadleys Kiefer bearbeiteten den Kaugummi mit kurzen kräftigen Bissen. Er schien den starken Fäulnisgeruch, der aus dem Müllwagen kam, nicht wahrzunehmen.
»Und ob wir da reingehen werden«, sagte er. »Und zwar sobald wir den Durchsuchungsbefehl kriegen.«
»Sie haben einen Richter, der Ihnen einen Durchsuchungsbefehl ausstellt, bloß weil ein gestohlenes Auto vor dem betreffenden Haus steht?«, sagte Bosch.
Hadley gab einem seiner Männer ein Zeichen und rief: »Bringen Sie die Tüten, Perez!« Dann fuhr er, wieder an Bosch gewandt, fort: »Nein, das ist nicht alles, was wir haben. Der Müll von heute, Detective. Ich ließ das Müllauto die Straße hinauffahren, und zwei meiner Männer haben die zwei Tonnen geleert, die vor Samirs Haus standen. Absolut legal, wie Sie wissen. Und jetzt schauen Sie mal, was wir gefunden haben.«
Perez kam mit den Beweismitteltüten herbeigeeilt und reichte sie Hadley.
»Captain, ich habe mit dem Beobachtungspunkt gesprochen«, sagte Perez. »Nach wie vor ist alles ruhig.«
»Danke, Perez.«
Hadley nahm die Tüten und wandte sich wieder Bosch und Ferras zu. Perez kehrte zum Geländewagen zurück.
»Unser Beobachtungsposten ist
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