Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
verdient? Ich?«
Endlich brach sie in Tränen aus und rannte ins Badezimmer. Dabei hielt sie sich eine Hand vors Gesicht, sie hatte Nasenbluten bekommen. Gunna musterte voller Schadenfreude die rote Tropfspur, die sie auf dem cremefarbenen Teppich hinterließ.
»Es fällt nicht leicht, Mitleid mit ihr zu haben, stimmt’s?«, bemerkte Helgi.
»Nicht wirklich«, stimmte Gunna ihm zu. »Sie tut sich selbst so leid, dass jedes Mitleid von uns zu viel wäre.«
»Was jetzt, Chefin? Glaubst du, wir bekommen noch etwas aus ihr heraus?«
»Nein, aber ich würde dich gerne hierlassen, wenn es dir recht ist, Helgi.«
»Was? Bei dieser Hexe?«
»Ja. Ich möchte, dass du in Hallurs Arbeitszimmer im Untergeschoss gehst. Sie wird es dir zeigen. Fang einfach an, es zu durchforsten, vielleicht findest du etwas.« Gunna stand auf. »Ich muss zurück in die Hverfisgata, um zu sehen, ob Eiríkur den kleinen Auftrag für mich erledigt hat. Aber zuerst habe ich noch etwas anderes zu tun.«
***
Anna Fjóla Sigurbjörnsdóttir presste die Lippen zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammen, als Gunna in der Tür erschien.
»Guten Tag, Anna Fjóla«, sagte Gunna freundlich. »Ist dein Herr und Meister da?«
»Ich glaube ja«, antwortete die Sekretärin ruhig. »Ich werde nachsehen.«
Behutsam öffnete sie die Tür hinter ihrem Schreibtisch einen Spalt und sagte leise ein paar Worte, bevor sie die Tür ganz aufmachte und Gunna widerwillig eintreten ließ.
Jónas Valur saß hinter seinem antiken Schreibtisch. Gunna spürte sofort, dass ihr Erscheinen alles andere als willkommen war.
»Was ist denn jetzt schon wieder, Sergeant?«
Das Licht von seiner Schreibtischlampe warf scharfe Schatten auf seine Hände, in denen er ordentlich zusammengeheftete Papiere hielt.
»Warum hast du ausgesagt, dass du am Elften den ganzen Tag ohne Unterbrechung hier gewesen bist?«, fragte Gunna unvermittelt.
»Was meinst du?«
»Ich habe Zeugen und Beweise, die belegen, dass du an jenem Tag um die Mittagszeit nicht in deinem Büro warst. Du warst mindestens eine Stunde unterwegs.«
»Mein Gott, hört das denn nie auf?«, stöhnte Jónas Valur. »Okay. Vielleicht bin ich eine Kleinigkeit essen gegangen. Ich erinnere mich nicht mehr.«
»Anna Fjóla würde sich erinnern. Sie zu zwingen, für dich einen Meineid zu leisten, wäre wohl kaum eine Belohnung für ihre jahrelangen loyalen Dienste, oder?«
Jónas Valur starrte sie finster an und schwieg.
»Wie viel wollte Svana Geirs haben?«
»Wovon sprichst du?«
»Svana wollte den Club auflösen, und sie wollte ein Abschiedsgeschenk. Wie viel?«
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Worum ging es denn dann bei eurer Krisensitzung am Abend vor ihrem Tod?«
»Noch einmal, Sergeant, ich weiß nicht, wovon du sprichst«, erwiderte Jónas Valur kühl.
»Quatsch«, sagte Gunna barsch. »Jónas Valur, wo ist dein Sohn?«
»Was fällt dir ein, so mit mir zu reden? Pass auf, was du tust, ich habe jede Menge einflussreiche Freunde.«
»Soll ich das als Drohung verstehen?«
»Soweit ich weiß, befindet sich mein Sohn auf einer Geschäftsreise. Wie du ja weißt, lebt er nicht mehr in diesem Land.«
»Wenn jemand weiß, wo er ist, dann bist du das.«
»Kein Kommentar«, sagte Jónas Valur. Trotz des warmen Lichtscheins der Schreibtischlampe wirkte er blass.
»Du solltest deinen Anwalt anrufen, denn ich komme wieder«, sagte Gunna und rauschte aus dem Raum, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Ich nehme an, du hast das meiste mitgehört?«, sagte sie zu der Sekretärin, die hinter einem Stapel Hefter saß und vorgab, sehr beschäftigt zu sein. »Nur damit du Bescheid weißt, die Gerichte missbilligen einen Meineid auf das Schärfste, und das Frauengefängnis ist nicht gerade ein gemütlicher Ort.«
***
Es wurde allmählich dunkel. Ein frischer Frühlingswind fegte vom Meer herein und trieb Regentropfen gegen die Fensterscheiben. Gulli Ólafs saß im Verhörraum.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte Gunna und unterdrückte ein Gähnen. »Es tut mir leid. Es war ein langer Tag.«
»Warum bin ich hier? Soll ich eine Aussage machen?«
»Möglicherweise«, sagte Gunna und öffnete die Tür. »Mein Kollege wird gleich kommen. Es gibt etwas, das ich dir zeigen möchte. Das ist alles.«
Eiríkur eilte geschäftig in den Raum. Er trug einen offenen Laptop, den er auf dem Tisch abstellte.
»Das ging aber schnell, junger Mann. Wie hast du das hinbekommen?«
Eiríkurs Finger flogen über die Tastatur.
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