Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
Anwaltskanzlei in einer Sackgasse gleich um die Ecke installiert. Ich habe mir die Aufzeichnungen angesehen, aber darauf ist nichts Interessantes auszumachen. Die Tankstelle hat eine Videoüberwachung, die ich gerade durchgehe.«
»Wie sieht es mit den Fingerabdrücken aus der Wohnung aus?«
»Es gab ziemlich viele, die Kriminaltechnik arbeitet noch daran. Sie haben dort momentan viel zu tun.«
Gunna trommelte mit den Fingernägeln auf die Tischplatte.
»Du musst sie vielleicht ein bisschen aufscheuchen, wenn sie nicht in die Gänge kommen«, sagte sie. Eiríkur sah zweifelnd aus.
»Das möchte ich lieber nicht. Ich weiß, dass sie tun, was sie können. Sie haben einfach zu wenige Leute.«
»Haben wir das nicht alle? Gibt es Neuigkeiten von unserem Chef?«, fragte sie dann.
Örlygur Sveinsson, ihr Vorgesetzter und Chef der Abteilung, war noch nicht wieder aufgetaucht, seit er für einen längeren Zeitraum krankgeschrieben worden war. Sie alle kannten ihn nur vom Hörensagen.
»Wahrscheinlich liegt er auf dem Sofa, lässt sich von vorne bis hinten bedienen und sieht sich Police Academy 1 bis 7 an«, kicherte Helgi. Sie wussten alle, dass erzwungenes Fernsehen für einen Mann, der lieber Golf spielen wollte, schon fast an Folter grenzte.
»Schön, dann müssen wir eben ran, wie üblich. Der Mann, der die Alarmanlage in Svana Geirs Wohnung installiert hat, kommt heute Morgen vorbei. Außerdem müssen wir damit anfangen, Freunde und Bekannte zu befragen. Haben wir eine Liste, mit der wir beginnen können?«
Helgi legte ein Blatt Papier auf den Tisch, das dicht beschrieben war mit Namen, Adressen und Telefonnummern sowie Hinweisen zu der Beziehung, in der die betreffende Person zu der Verstorbenen gestanden hatte.
»Das teilen wir unter uns auf«, beschloss Gunna. »Jetzt zum langen Ommi. Ist unser entflohener Häftling irgendwo gesehen worden, Helgi?«
»Verzeihung, Chefin, brauchst du mich noch?«, fragte Eiríkur, noch bevor Helgi auf die Frage antworten konnte.
»Nicht direkt, aber du könntest einfach zuhören, nur für den Fall, dass Helgi beschließt, in Urlaub zu fahren, und du seine Aufgaben übernehmen musst. Fahr fort, Helgi.«
»Nichts«, sagte Helgi missmutig. »Aber ein preisgekrönter Idiot namens Kristbjörn Hrafnsson, auch bekannt als der doofe Diddi, ist am Mittwochmorgen in die Notaufnahme des Nationalkrankenhauses eingeliefert worden. Er hatte eine dicke Lippe, eine Nierenquetschung sowie diverse Platzwunden und Abschürfungen. Wenn wir Óskar Óskarsson im Krankenhaus in Keflavík dazurechnen, können wir von zwei Personen ausgehen, die den langen Ommi gesehen haben. Der Mistkerl hätte genauso gut eine Notiz hinterlassen können: Ommi war hier .«
»In Ordnung. Ich hatte bisher das Glück, diesem ganz besonderen Sonnenschein noch nicht begegnen zu müssen. Ich habe sowohl mit Skari als auch mit seiner Mutter gesprochen. Die alte Dame hasst Ommi leidenschaftlich, und Skari selbst schweigt. Was sollen wir damit anfangen?«
Helgi hob die Hände.
»Wenn er die Klappe halten will, ist das sein gutes Recht. Aber bei so schwerwiegenden Verletzungen muss es einen verdammt guten Grund geben, …«
»… den wir aus irgendjemandem herauskitzeln müssen«, beendete Gunna den Gedanken für ihn. »Gut, Jungs. Ich habe in zehn Minuten eine Verabredung in Svana Geirs Apartment. Treffen wir uns zum Mittagessen in der Kantine?«
***
Die Frau, mit der er fünfzehn Jahre lang zusammengelebt hatte, sah ihn von der Tür ihres Elternhauses aus ausdruckslos an. Jón hätte sie so gerne umarmt und einfach mitgenommen – auch wenn er nicht wusste, wohin. Das Haus war quasi leer. Fast alles, was man verkaufen konnte, war weg. Selbst der Wohnzimmerteppich war gegen ein paar Tankfüllungen eingetauscht worden.
»Bring sie spätestens um acht zurück, ja?«, sagte Linda so neutral sie konnte. Trotzdem hatte ihre Stimme in Jóns Ohren einen scharfen Unterton. Er nickte nur, als seine Tochter die Stufen hinunterhüpfte und ihn an der Hand nahm. Begriff diese verdammte Frau nicht, dass jedes harte Wort wie ein Schlag ins Gesicht war?
Linda beobachtete mit verschränkten Armen, wie Jón seine Tochter Ragna Gústa sorgfältig auf dem Vordersitz anschnallte. Das kleine Mädchen winkte seiner Mutter fröhlich zu. Linda stellte fest, dass sie zwar in der Lage war, das Winken zu erwidern, aber zu einem Lächeln reichte es nicht.
»Wohin fahren wir, Daddy? Zu unserem Haus?«
»Ich weiß es noch nicht, Schätzchen.
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