Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
sehe ich selbst. Wer ist der ranghöchste Beamte?«
»Ich glaube, das bin ich, bis Pétur Júlíusson von meiner Dienststelle eintrifft«, antwortete er gequält. »Wir haben zurzeit zu wenig Leute.«
Gunna nickte und ging mit knirschenden Schritten über den Kiesweg zwischen den Rasenflächen zum Haus. Ein Trampolin, das aussah, als hätte es den ganzen Winter draußen verbracht, stand auf der Wiese. Dahinter befand sich eine dichte Hecke an der Grenze zum Nachbargrundstück.
Wahrscheinlich gibt es keine Zeugen, weil die Hecke die Sicht versperrt , dachte Gunna, als sie die Doppelgarage erreichte. Ein Torflügel war geschlossen, der andere stand halb offen. Die weiße Farbe des Tors hatte wegen der Hitzeentwicklung Blasen geworfen, und der Boden vor der Garage war schwarz und versengt. Ein Rettungsassistent und ein Feuerwehrmann standen vor der offenen Seitentür der Garage. Gunna kannte den Feuerwehrmann.
»Guten Abend, Röggi«, grüßte Gunna. »Ich habe den Notruf gehört, als ich gerade auf dem Heimweg war. Was haben wir?«
»Hallo, Gunna. Es ist ein verdammter Schlamassel«, antwortete der Feuerwehrmann ernst. »Die Garage ist in die Luft geflogen, eine einzige Flammenhölle. Das Ganze kann nicht länger als eine Minute gedauert haben, aber die Hitze muss gewaltig gewesen sein.«
»Gibt es Verletzte?«
»Ja, eine Frau. Sie befindet sich im Rettungswagen. Sie hat einen Schock und eine Rauchvergiftung. Es hätte viel schlimmer sein können.«
»Hast du schon eine Vermutung, was passiert ist?«
Röggi zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Absolut keine Ahnung.«
»Kann eine solche Explosion ein Unfall gewesen sein?«
»Ich würde sagen, nein. Normalerweise bewahrt man in einer Garage nichts auf, was derart explosiv ist.«
»Könnten es Chemikalien gewesen sein?«
»Möglicherweise. Oder einfach Benzin, jede Menge Benzin.«
Gunna nickte und dachte nach. »Wir können wohl davon ausgehen, dass es kein Unfall war, bis das Gegenteil bewiesen wird, was meinst du?«
»Ich denke schon«, meinte Röggi. »Es wird eine Untersuchung geben, und da jemand verletzt wurde, wird man nicht lockerlassen, bis die Ursache gefunden ist, ganz sicher nicht, wenn es sich um so ein nobles Anwesen handelt.«
»Wem gehört das Haus?«
»Bjartmar Arnarson. Du weißt schon, das ist dieser Geschäftsmann. Vermutlich ist es seine Frau, die gerade ins Krankenhaus gebracht wird.«
»Klingt interessant«, sagte Gunna stirnrunzelnd. Der Name ließ sofort die Alarmglocken in ihrem Kopf schrillen.
»Du hast ein misstrauisches Wesen, Gunna.«
»Das ist Teil des Jobs. Was macht ihr jetzt?«
»Wir schicken ein Löschfahrzeug nach Hause. Ich bleibe mit dem anderen hier und sichere die Unglücksstelle, bis nichts mehr in die Luft fliegen kann.«
»Gut. Dann sollte ich meine Leute instruieren«, beschloss Gunna. Sie wusste, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis der Unglücksort betreten werden konnte.
Sie kehrte zu ihrem Wagen zurück und musterte aufmerksam die Gesichter der Menschen, die auf der anderen Straßenseite standen. Sie bemerkte einige Kameras, die bereits auf das Haus gerichtet waren. Sie fragte sich, ob die Presse so schnell Wind von der Sache bekommen hatte oder ob es Nachbarn waren, die ihre Fotoapparate gezückt hatten. Als sie noch neu bei der Polizei gewesen war, hatten nur Presseleute so große Objektive besessen, außerdem hatte sie die meisten Pressefotografen gekannt. Heutzutage hatte so mancher Hobbyfotograf eine neuere und bessere Ausrüstung als die Profis.
Gunna setzte sich auf den Fahrersitz und schaltete ihr Funkgerät ein. »Null-zwei-sechzig, neunzig-fünf-fünfzig. Helgi, hörst du mich?«
Sie wartete auf Antwort. Sie wusste, dass Helgi einer der wenigen Kriminalbeamten war, die ihr Funkgerät noch regelmäßig benutzten. Nach einer Minute gab sie auf, nahm ihr Handy und wählte Helgis Nummer.
»Oh, du bist ja doch da«, sagte sie vorwurfsvoll, als er sich meldete.
»Tut mir leid, heute Nachmittag ist viel los. Gibt’s was Ernstes?«
»Ja. So bald werden wir heute nicht nach Hause kommen. Wir haben eine ausgebrannte Garage und eine verletzte Frau. Das Ganze sieht mir schwer nach Brandstiftung aus.«
»Scheiße. Und ausgerechnet heute Abend hätten wir einen Babysitter.«
»Sorry. Es lässt sich nicht ändern. Die Sache stinkt«, sagte Gunna entschuldigend. »Jetzt kommt das Interessante: Der Besitzer des Hauses ist Bjartmar Arnarson. Er gehört zu Svana Geirs kleinem
Weitere Kostenlose Bücher