Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
Stationsschwester zu machen, bis sie zufällig die Schwester entdeckte, mit der sie bei ihrem ersten Besuch gesprochen hatte.
»Ich kann mir denken, wen du suchst. Er ist weg«, erklärte Sjöfn Stefánsdóttir. »Er hat sich selbst auf eigene Verantwortung und gegen den Rat des Arztes entlassen und ist vor einer halben Stunde gegangen.«
»Verdammt, hättest du uns nicht Bescheid sagen können?«, explodierte Gunna. »Könnt ihr die Leute nicht dabehalten?«
»Ich habe dir eine Nachricht auf deiner Mailbox hinterlassen, als ich erfuhr, was vor sich ging«, entgegnete Sjöfn scharf. »Und nein, wir können niemanden gegen seinen Willen hierbehalten, sofern er nicht in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wurde. Aber das ist eine weitreichende Entscheidung, die wir nicht leichtfertig treffen. Außerdem setzt das voraus, dass jemand an einer psychischen Erkrankung leidet und nicht einfach nur genervt ist, weil er derart bedrängt wird«, fügte sie hinzu.
»Es tut mir leid. Ich hätte nicht so aus der Haut fahren dürfen. Weißt du, wohin er gegangen ist?«
»Keine Ahnung. Aber er ist erst vor einer halben Stunde zusammen mit seiner Frau aufgebrochen, sie können noch nicht weit gekommen sein.«
»Helgi, kannst du dich bitte mit der Polizei vor Ort in Verbindung setzen und sie bitten, Ausschau nach Skaris und Erlas Auto zu halten? Es kann gut sein, dass sie auf dem Weg nach Hvalvík sind«, trug Gunna ihm auf. Dann wandte sie sich wieder zu Sjöfn um. »Ich würde gerne mit dem Arzt sprechen, der Óskar behandelt hat, als er eingeliefert wurde. Ist das möglich?«
»Ich glaube, er ist gerade hier. Komm mit, ich sehe nach, ob er im Gemeinschaftsraum ist.«
Helgi und Gunna folgten der Schwester den Gang entlang. Helgi sprach leise in sein Funkgerät. Im Gemeinschaftsraum tippte Sjöfn einem großen Mann auf die Schulter, der in einem Sessel saß und ein Nickerchen hielt. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen, und sie ruhten auf einem niedrigen Tisch, der mit Notizen übersät war.
»Jónmundur«, sagte Sjöfn und sah ihn an, während er seine Brille gerade rückte. »Diese Dame ist von der Polizei und möchte mit dir über Óskar Óskarsson sprechen.«
Der Arzt nahm die Füße vom Tisch und stellte sie auf den Boden. Er räusperte sich.
»Ist das der Typ, der sich selbst entlassen hat?«, wollte er wissen.
»Richtig«, antwortete Gunna. »Du bist der Arzt, der ihn behandelt hat, als er aufgenommen wurde. Welche Verletzungen hatte er?«
»Er hatte Blutergüsse im Gesicht und am Oberkörper, die mit Sicherheit die Folge einer Schlägerei waren. Außerdem eine Gehirnerschütterung, ein gebrochenes Schlüsselbein, gebrochene Rippen und Finger, zudem einen gebrochenen Kiefer und ein halbes Dutzend ausgeschlagene Zähne. Es muss eine anständige Tracht Prügel gewesen sein, so etwas sehen wir nicht jeden Tag.«
»Okay, er ist gegen achtzehn Uhr hier eingetroffen, richtig? Für mich wäre es wichtig zu wissen, wie lange die Prügelei her war. Ich brauche die Uhrzeit.«
»Das ist nicht einfach zu sagen. Die Blutergüsse waren gut entwickelt, er war überall grün und blau, aber das geht auch schnell. Außerdem war er stark unterkühlt. Anscheinend war er eine Zeitlang bewusstlos oder hat im Freien geschlafen, möglicherweise einige Stunden.«
»Zwei Stunden vielleicht?«
Der Arzt überlegte.
»Ich bin kein Spezialist in diesem Bereich«, meinte er. »Er war recht gut gekleidet, was den Kälteschutz betrifft. Er trug eine dicke Fleecejacke, ein Hemd und ein Unterhemd. Ich glaube nicht, dass seine Körperkerntemperatur in einem gefährlich niedrigen Bereich lag, aber seine Extremitäten waren stark unterkühlt.«
»Dann vielleicht drei Stunden?«
»Ich würde sagen, das kommt hin, vielleicht sogar noch länger, weil es nicht besonders kalt war. Aber es hängt auch davon ab, ob er dem Wind ausgesetzt war oder nicht.«
Gunna versuchte, ihre Berechnungen zu korrigieren und nahm ihre Finger zu Hilfe. »Also, Óskar tauchte an jenem Abend hier auf, nachdem er übel zusammengeschlagen worden war und für etwa vier Stunden das Bewusstsein verloren hatte. Käme das hin?«
»Nach meiner Einschätzung wäre das wahrscheinlich. Warum interessierst du dich dafür?«
»Weil ich den starken Verdacht hege, dass die Person, die für Óskars Zustand verantwortlich ist, am selben Tag eine weitere Straftat begangen haben könnte. Ich würde gerne wissen, ob er Zeit für beide Taten gehabt hat, oder ob ich von zwei
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