Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
finsterer Gesichtsausdruck wich zum ersten Mal echter Besorgnis.
Óskar hatte das Federbett von sich geworfen. Es war nass geschwitzt. Gunna suchte den Puls des Mannes und stellte fest, dass er raste.
»Wie lautet eure Adresse?«, fragte sie plötzlich.
»Sjávarbraut 18«, antwortete Fanney. »Warum?«
Ohne den Blick von dem Mann im Bett abzuwenden, bediente Gunna ihr Funkgerät. »Leitstelle, neunzig-fünf-fünfzig.«
»Neunzig-fünf-fünfzig, Kontrolle«, die Antwort kam sofort.
»Ich bin in der Sjávarbraut 18 in Hvalvík. Kannst du einen Rettungswagen herschicken? Verdacht auf Überdosis.«
»Wird sofort erledigt. Ist der Patient bei Bewusstsein?«
»Er ist halb bewusstlos«, antwortete Gunna.
»Der Rettungswagen ist unterwegs. Kannst du herausfinden, was er genommen hat? Ich habe den Kanal geöffnet, sodass das Rettungsteam dich direkt anrufen kann. Okay?«
»Danke. Ende.«
Fanney blickte entsetzt auf ihren kranken Sohn im Bett. Gunna warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Fanney, kannst du Erla holen? Sofort?«
Fanney verschwand, und wenige Augenblicke später waren Erlas schwere Schritte auf der Holztreppe zu hören.
»Geht es ihm gut?«, fragte sie angstvoll.
»Er kommt wieder in Ordnung. Komm mal bitte her, Erla«, forderte Gunna sie auf. Sie legte Óskars Hand vorsichtig auf seine Brust und klopfte neben sich auf das Bett. »Ich möchte, dass du dich hier hinsetzt.«
Sie stand auf und bugsierte Erla in Richtung Bett.
»So, ich möchte, dass du einfach seine Hand hältst und mit ihm sprichst. Es ist egal, was du sagst, du musst einfach nur reden. Erzähl ihm meinetwegen, wie das Wetter ist und so was. Es geht darum, dass er deine Stimme hört. In Ordnung?«
Erla nickte und begann sofort zu plappern, wie viel es doch in letzter Zeit geregnet hatte. Gunna ging die Treppe hinunter.
Fanney stand mit ängstlichem Gesicht unten im Flur. »Wird mein Junge wieder gesund werden?«
»Er wird wieder gesund. Aber er hätte das Krankenhaus nie verlassen dürfen, jetzt muss er sowieso wieder dorthin zurück. Wo sind die Kinder, Fanney?«
»Sie sind bei Jóna.«
»Wer ist Jóna?«
»Meine Tochter. Sie wohnt neben der alten Bäckerei.«
»Das ist gut. Können sie eine Weile dortbleiben?«
Fanney nickte.
»Prima. Dann gehe ich noch mal nach oben und sehe nach, ob alles in Ordnung ist. Bleib du bitte hier bei der Haustür und warte auf den Rettungswagen. Dann zeigst du ihnen den Weg, ja?«
Die alte Dame nickte erneut, und Gunna stieg die Treppe hinauf. Erla erzählte eine Geschichte aus ihrer Kindheit, während Óskar erschöpft die Augen verdrehte. Sie hielt seine Hand mit energischem Griff fest.
»Skari, mein Schatz. So ist es viel einfacher. Dann musst du es nicht zweimal machen«, plapperte Erla. »Wenn du das alte Auto reparieren könntest, wäre das Einkaufen viel leichter.«
Gunna ließ ihren Blick durch das kleine Schlafzimmer mit dem riesigen Bett schweifen. Sie sah den Fernseher in einer Ecke, auf dem sich DVDs stapelten, Kleidungsstücke, die aus einem klapprigen Schrank quollen, und den Haufen ungewaschener Wäsche neben der Tür. Dann entdeckte sie eine Reihe Tablettenröhrchen und Fläschchen und fegte sie schnell in eine Tüte. Sie war erleichtert, als sie das Heulen der Sirene hörte.
***
Jón Jóhannsson ging in der Abenddämmerung durch den Nieselregen. Er hatte lange überlegt, wie er es tun sollte, und war zu dem Schluss gekommen, dass kurz und schmerzlos am besten wäre. Seine Schritte knirschten auf dem Kies des Gartenwegs. Amüsiert betrachtete er das rußgeschwärzte Garagentor und den schicken Geländewagen, der davor parkte.
Dann stand er vor der Haustür und läutete. Er hörte den Klingelton irgendwo tief drinnen im Haus und trat einen Schritt zurück. Die Tür wurde geöffnet, und Licht fiel heraus. Bjartmar Arnarson war barfuß, trug ein weißes Hemd zur Anzugshose und starrte Jón an.
»Ja?«
»Du kennst mich nicht …«, setzte Jón an.
»Ich kenne dich also nicht. Was willst du?«
Er ist besoffen, dachte Jón, trat einen Schritt vor und stellte den Fuß in die Tür. Bjartmar erkannte die Bedrohung, die von Jóns massiger Erscheinung ausging, und zog sich instinktiv zurück.
»Du bist schuld daran, dass ich pleite bin, du verdammter Mistkerl!«, knurrte Jón. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, kein Wort zu sprechen.
»Hör mal, verschwinde einfach, ja?«, sagte Bjartmar wütend. »In zwei Minuten ist die Polizei hier.«
»Zwei Minuten genügen mir
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