Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
Tätern ausgehen muss.«
»Ich verstehe, dann ist der Zeitpunkt natürlich wichtig. Handelt es sich um ein schweres Verbrechen?«
»Allerdings.«
»Okay, ich werde keine Fragen mehr stellen.«
»Wer hat ihn eigentlich hierhergebracht?«, fragte Gunna.
»Óskar wurde nicht gebracht. Er ist allein hergekommen und praktisch auf der Türschwelle zusammengebrochen. Du könntest ihn fragen, wenn er sich nicht heute Nachmittag selbst entlassen hätte, obwohl ich ihm dringend davon abgeraten habe. Aber er wird vermutlich bald zurückkommen, wenn er die Schmerzen nicht mehr aushält und Schmerzmittel braucht.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Óskar wird keine großen Probleme haben, sich Tabletten zu organisieren, wenn es nötig sein sollte.«
***
»Er schläft«, sagte Erla gereizt durch den Türspalt hindurch.
»Er sollte im Krankenhaus sein«, erwiderte Gunna. »Mach die Tür auf, Erla.«
Argwöhnisch öffnete sie die Tür. Gunna betrachtete ihr abgehärmtes Gesicht und die Augen, die vom Weinen und von Schlafmangel gerötet waren.
»Du kommst besser rein«, sagte sie müde. »Er wäre noch im Krankenhaus, wenn ihr ihn nicht ständig unter Druck gesetzt hättet.«
Das Wohnzimmer des kleinen Hauses versank im Chaos. Die Möbel passten nicht zueinander, Spielzeug lag überall herum, und ein riesiger Fernseher dominierte den Raum. Der Ton war auf stumm geschaltet, die Schauspieler in der Seifenoper, die gerade lief, schienen Pantomime zu spielen. Fanney saß aufrecht auf einem einfachen Stuhl und sah Gunna vorwurfsvoll an.
»Könnt ihr meinen Jungen nicht in Ruhe lassen?«
»Ich lasse ihn in Ruhe, sobald er mir die Wahrheit sagt«, erwiderte Gunna ruhig. »Sieh mal, irgendwo da draußen läuft der Schurke herum, der ihm das angetan hat. Und es ist nicht nur dein Óskar, der etwas abbekommen hat. Ich würde den Mistkerl nur zu gerne festnehmen, aber ich kann nicht, weil Óskar den Mund nicht aufmacht. Er hält nach wie vor an dieser dämlichen Geschichte mit dem Polen fest, der – wie wir alle wissen – nicht existiert. Also, wer von euch könnte den Ball ins Rollen bringen?«
Sie sah die beiden Frauen auffordernd an. Erla starrte auf den Boden. Ein Tropfen hatte sich an ihrer Nasenspitze gebildet, und sie schniefte, als sie ihn wegwischte. Fanney saß steif auf ihrem Stuhl, die Hände im Schoß gefaltet, und starrte ins Leere.
»Lasst ihn in Ruhe!«, sagte sie schließlich voller Zorn, dann schwieg sie wieder, während Erla vor sich hinschniefte. Gunna stand an der Tür, betrachtete die beiden und wartete, dass eine von ihnen den Mund aufmachte.
»Es war dieser Ómar«, brach es auf einmal mit einem Schluchzen aus Erla heraus. »Er kam her und fragte nach ihm, zusammen mit einem anderen Mann. Ich habe versucht, Skari anzurufen und ihm Bescheid zu sagen, aber sein Handy war ausgeschaltet. Sie müssen herausgefunden haben, wo er arbeitet, und haben ihn dort gefunden.«
Nachdem die Anspannung von Erla abgefallen war, schluchzte sie nur noch vor sich hin. Ihre Schultern waren nach vorne gesunken und zuckten hilflos. Fanney saß immer noch aufrecht auf ihrem Platz, ihr Mund bildete einen dünnen Strich.
»Habt ihr ihn gefasst?«, wollte sie plötzlich wissen.
»Ja, das haben wir. Ómar ist wieder in Litla-Hraun.«
»Das ist ein Segen«, räumte die alte Dame ein. »Erla, mein Mädchen. Der Mann ist wieder im Gefängnis. Glaubst du nicht, es wäre höchste Zeit, dass ihr beide aufhört, euch so dumm zu benehmen, und dieser Polizistin hier erzählt, was los ist?«
Erlas Schultern bebten, trotzdem konnte man sehen, dass sie heftig nickte.
»Wo ist Óskar?«, fragte Gunna sanft.
»O-o-oben«, antwortete Erla schließlich und strich sich die wilden Locken aus dem Gesicht. »Er schläft, und du wirst ihn nicht wach bekommen. Er hat ein paar Tabletten genommen, damit er schlafen kann.«
Bei Gunna begannen instinktiv alle Alarmglocken zu schrillen.
»Zeig mir, wo er ist«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Fanney stand auf, während Erla mit offenem Mund vor sich hinstarrte.
Gunna nahm immer zwei Treppenstufen auf einmal, Fanney folgte ihr etwas langsamer. Im Dachgeschoss gab es nur ein Zimmer. Óskar lag heftig schwitzend und vor sich hinmurmelnd in einem breiten Doppelbett. Im Zimmer herrschte Chaos, weil die Familie auf engstem Raum lebte.
»Skari, kannst du mich hören?«, fragte Gunna laut. Sie setzte sich auf die Bettkante, während Fanney in der Tür stehen blieb. Ihr gewohnt
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