Kalter Weihrauch - Roman
getan. Sie hatte nur auf einen Sprung vorbeigeschaut, und sie hatten noch einmal über das Ergebnis der Obduktion von Susanne Kajewski gesprochen. Die hatte allerdings keine Überraschung gebracht. Susanne Kajewski war mit ihrem Stirnband erdrosselt worden, und sie war schwanger gewesen im dritten Monat. Und sie hatte um ihr Leben gekämpft, unter ihren Fingernägeln hatten sich eindeutige Spuren feststellen lassen, die gerade ausgewertet wurden. Immerhin, besser als der grüne Loden unter den Nägeln von Agota, der sie keinen Schritt weitergebracht hatte. Zu Agota hatte Lisa auch sonst keine guten Nachrichten für ihn gehabt. Die Partikel in ihrer Lunge waren nicht mehr eindeutig zu bestimmen gewesen, und die Abriebspuren auf ihrer Wange konnten zwar von einem Kräuterkissen stammen, wie er sie im Klosterladen erstanden hatte, aber auch von irgendeinem anderen ähnlich gewebten Stoff. Jeder Anwalt würde aus solchen Indizien Hackschnitzel machen. »Tut mir leid, Artur!«, hatte Lisa gemurmelt, als ob das alles ihre Schuld wäre. Er hatte ihr noch kurz vom Kloster und der Oberin erzählt, dann war Lisa auch schon wieder davongehastet, der Max brauchte dringend Buntpapier und Goldfolie für eine Weihnachtsbastelei.
»Und, hast schon eine Spur?«, fragte Habringer.
Pestallozzi schüttelte den Kopf. Der Habringer war ein altgedienter Kollege, einer von den Stillen, die sich nicht um jeden Preis nach oben boxen wollten auf der Karriereleiter. Vor dem brauchte man nicht den Superman zu spielen.
»Eigentlich wollte ich ja gerade mit dem Leo nach Ungarn fahren. Wo diese Agota her ist, ihr wisst’s schon. Aber dann ist das mit der zweiten Toten passiert, mit dieser Suse, die aus Deutschland gekommen ist. Ich finde einfach die Klammer nicht. Falls es überhaupt eine gibt.«
Ein junger Kollege räusperte sich. Es war gar nicht so leicht, vor den alten Hasen das Wort zu ergreifen. Aber wenn man dazugehören wollte, dann musste man auch auf sich aufmerksam machen. Quendler hieß er, Tobias Quendler, das fiel Pestallozzi zum Glück wieder ein, als er in das aufgeregte Gesicht blickte.
»Vielleicht haben die von den Zeitungen ja ausnahmsweise doch einmal recht. Und es ist jemand, der einen Hass auf die Kirche hat. Warum sollte man sonst einer Frau, die man erwürgt hat, einen Rosenkranz in die Hand drücken?«
Pestallozzi wiegte nachdenklich den Kopf. »Und was, wenn es ein Trittbrettfahrer ist? Einer, der sich den Tod von dieser Agota hat zunutze machen wollen? Um damit von seinem wirklichen Motiv abzulenken?«
Der junge Kollege nickte möglichst cool, so, als ob er das selbstverständlich ebenfalls längst bedacht, aber wieder verworfen hätte. Heute würde er jedenfalls den Mund nicht mehr aufmachen. Dafür grübelte der Habringer laut weiter: »Könnt’s nicht sein, dass die erste, diese Nonne oder was immer die war, also dass die aus dem Kloster geflohen ist? Und dass man sie dann eingeholt und zum Schweigen gebracht hat? Wegen was auch immer? Gründe gäb’s ja genug, wenn man liest, was in den kirchlichen Internaten alles los war. Haben diese Schwestern eigentlich auch was mit Kindern zu tun?«
»Die kümmern sich um junge Frauen, um Prostituierte in ehemaligen Ostblockländern.«
»Na, da hast du’s doch! Wer weiß, was diese, wie heißt sie gleich, diese Agota alles mitgekriegt hat!«
»Das ist mir zu einfach«, sagte Pestallozzi. Er verstummte, weil er über sich selbst verblüfft war. So dezidiert hatte er das bisher noch nicht einmal gedacht. Das ist mir zu einfach. Dabei wäre es doch die Lösung gewesen, die ihm noch vor Kurzem am meisten entsprochen hätte. Sadistische Klosterschwestern, die eine Mitwisserin kaltblütig zum Schweigen brachten. Aber diese Theorie wollte ihm einfach nicht …
Der junge Kollege nahm Haltung an, auch Habringer rückte ein wenig zur Seite. Der Präsident war zu ihnen getreten, ebenfalls mit einem Glas in der Hand. »Na, wie schaut’s aus? Gibt’s endlich was Neues?« Privates Weihnachtsgeplauder stand heute nicht auf der Tagesordnung.
Die Runde blickte auf Pestallozzi, keiner beneidete ihn um diese Situation.
»Wir haben gerade den Stand der Ermittlungen besprochen. Ich bin mir nicht einmal noch sicher, ob die beiden Fälle miteinander verknüpft sind. Derzeit haben wir kaum Anhaltspunkte dafür, außer diesem Rosenkranz. Die junge Frau, die erdrosselt worden ist, war schwanger. Ende der zwölften Woche. Morgen befragen wir ihre Arbeitskollegin, mit der sie
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