Kalter Zwilling
intelligent. Der Flur sowie der Vorlesungssaal sind mit Überwachungskameras ausgestattet. Wir hätten also zumindest seine Statur auf dem Video sehen können. Jetzt haben wir keine weiteren Hinweise zu ihm.«
»Wie groß ist der Lüftungsschacht?«, fragte Petra einem plötzlichen Impuls folgend. Dabei fuhr sie sich durch die glatten braunen Haare, die sie normalerweise zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. Heute Morgen war sie wirklich nicht Herrin ihrer Sinne gewesen, dachte sie, als sie den fehlenden Haargummi bemerkte. Ein Umstand, der ihr bisher nicht einmal aufgefallen war.
Am anderen Ende der Leitung war es für einen Moment still. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht!« Die Stimme von Ingrid Scholten klang mit einem Mal aufgeregt. »Es ist ein schmaler Schacht. Unser Täter ist ein zierlicher Mann. Oh mein Gott ...«, ihre Stimme nahm einen fast hysterischen Tonfall an, »es könnte genauso gut eine Frau sein!«
Petra Ludwig blieb auf der Stelle stehen und bemerkte, wie das Brennen unter ihrem Fußballen schlagartig verschwand. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht.« Sie spürte, wie ihr Blutdruck in die Höhe schnellte. Das war ein typischer Anfängerfehler! Sie hatte den Täterkreis von vorneherein auf einen Mann beschränkt. Vielleicht hatte sie deshalb bisher noch keinen eindeutigen Zusammenhang entdecken können. »Danke«, sagte sie kurzangebunden und legte auf. Den Rest des Weges schaffte sie, ohne ein einziges Mal ihre Füße zu spüren.
Der Leiter der Klinikverwaltung, Manfred Kullmann, erinnerte sie an einen Finanzbeamten. Er sah unscheinbar aus, trug eine randlose Brille und hatte graues Haar, welches von einem strengen Seitenscheitel aus zu beiden Seiten am Kopf klebte. Sein kariertes Hemd war mindestens zwei Nummern zu groß und beulte sich über die viel zu weit hochgezogene Hose. Entweder hatte er seinen Modestil in den letzten zwanzig Jahren nicht geändert oder seine Kleidung nie ausgetauscht. Petra Ludwig nahm auf dem harten Bürostuhl Platz.
»Vielen Dank, dass ich so kurzfristig vorbeischauen durfte. Ich habe ein paar Fragen zu Ihren beiden Mitarbeitern Hans-Peter Mundscheit und Professor Hermann Neuhaus.«
Der Leiter der Klinikverwaltung blickte betroffen auf seine Fußspitzen. »Ja, ich bin bereits über die schrecklichen Vorfälle unterrichtet worden.« Er atmete tief durch. »Ich kann es gar nicht fassen, dass unsere Klinik in so kurzer Zeit mit zwei derart großen Verlusten umgehen muss. Haben Sie denn schon eine Spur?«
»Nun, darüber kann ich Ihnen zum derzeitigen Stand der Ermittlungen leider keine Auskunft geben. Ich hoffe, dass verstehen Sie?«
Manfred Kullmann nickte. »Natürlich, das verstehe ich.« Mit schlanken, blassen Fingern tippte er auf der Tastatur seines Computers herum. Ein lautes Surren ertönte. Das Geräusch verriet Petra, dass er gerade eine Suchanfrage gestartet hatte und der PC arbeitete.
»Ich suche die Lebensläufe der beiden Kollegen heraus. Dann wissen Sie genau, wann sie in unserer Klinik angefangen haben und zu welchen Zeiträumen sie auf den verschiedenen Stationen eingesetzt waren.«
»Mich interessiert, ob sie eine Zeitlang zusammengearbeitet haben.«
Das Surren hörte plötzlich auf. »Da haben wir es.« Zufrieden drückte der Verwaltungsleiter auf eine Taste und der Drucker, der auf einem Sideboard unter dem Fenster stand, begann zu quietschen, während er Seite um Seite einzog und anschließend in die Papierablage schob. Manfred Kullmann drückte Petra die Blätter in die Hand. »Sie haben fast fünf Jahre lang zusammengearbeitet«, verkündete er stolz. »Allerdings ist das mittlerweile über 25 Jahre her.«
Petra überflog die Lebensläufe. Endlich hatte sie einen Zusammenhang entdeckt. Die beiden letzten Opfer kannten sich.
»Sie haben etliche gesunde Babys in die Welt gesetzt, als sie zusammen die Kinderwunschklinik führten. Professor Neuhaus hat sich nach ein paar Jahren aus der Praxis zurückgezogen, weil er sich auf die Forschung und die Ausbildung seiner Studenten konzentrieren wollte«, ergänzte Manfred Kullmann »Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie weiterhelfen?«
Petra Ludwig schüttelte den Kopf. Nein, fürs Erste hatte sie genug. Sie musste sich heute noch um Ronny Hammerschmidt kümmern. Vielleicht konnte sie eine Verbindung zwischen ihm und den beiden Medizinern herstellen.
...
»Hören Sie, ich habe Ihnen doch schon gestern am Telefon gesagt, dass ich Ihnen keine Auskunft geben
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