Kaltes Blut
was er mir erlaubt,ist das Reiten. Ich muss aber immer zu einer bestimmten Uhrzeit zu Hause sein. Wenn ich Ferien habe, um halb elf, und ich muss vorher anrufen, dass ich mich auf den Weg mache. Wenn ich Schule habe, muss ich um acht zu Hause sein. Wenn ich nur fünf Minuten zu spät komme, rastet er gleich aus. Wir sind jedes Mal froh, wenn er unterwegs ist.«
»Und wann hat er dich das letzte Mal geschlagen?«
»Am Mittwoch. Ich hab gedacht, er wäre gar nicht zu Hause. Er hat nämlich gesagt, er würde mit einem Transport nach Belgien oder Frankreich fahren und erst am Freitag zurückkommen. Und als ich um halb zwölf nach Hause gekommen bin, war er da. Das war’s dann. Ich habe die ganzen Ferien Hausarrest. Nur zum Reiten darf ich.«
»Hast du noch Geschwister?«
»Einen Bruder.«
»Ist er älter oder jünger?«
»Zwei Jahre älter.«
»Und wie kommst du mit ihm aus?«
»Ganz gut. Aber er hat gegen meinen Vater auch keine Chance. Genauso wenig wie meine Mutter. Er hat alles unter Kontrolle, dieses Arschloch! Sonst fühlt er sich nicht wohl.«
»Hat Selina mal bei dir übernachtet?«
»Nee, hier darf keiner übernachten.«
»Keine Freundin?«, fragte Durant erstaunt.
»Nee, er hat’s verboten. Aber ich bin nicht die Einzige. Miriam darf auch niemanden mit nach Hause bringen. Ihre Mutter möchte das nicht.«
»Miriam Tschierke? Bist du mit ihr gut befreundet?«
»Hm.«
»Geht so.«
»Hast du überhaupt richtige Freunde oder zumindest eine richtige Freundin?«
Keine Antwort, nicht einmal ein Schulterzucken.
»Keine Freundin?«
»Nee.« Und nach einer kurzen Pause: »Irgendwann hau ich ab. Einfach so. Wie damals Kerstin. Die hat’s auch nicht mehr ausgehalten.«
»Kerstin?«
»Ich weiß das nur von den andern, als die das mal erzählt haben.« Mit einem Mal huschte ein Lächeln über Katrins Gesicht, als sie fortfuhr: »Sie ist vor ein paar Jahren kurz vor Weihnachten einfach abgehauen. Da war wohl auch ständig Stress in der Familie.«
»Und ist sie wieder aufgetaucht?«
»Keine Ahnung, glaub nicht. Die hat wohl ’nen Freund gehabt, und der hat sie wohl mitgenommen.«
»Aber dein Vater hat nichts dagegen, dass du in den Reitclub gehst?«
»Nee, ist doch logisch. Das ist doch gut für sein Ansehen. Er hat dem Club sogar schon zwei Pferde … spendiert! So ist er nun mal. Er lässt sich halt gern feiern.«
»Ist er auch Mitglied?«
»Na klar. Er muss doch jedem zeigen, wie viel Kohle er hat!«
»Katrin, ich lass dir jetzt mal meine Karte hier. Sollte irgendwas sein oder sollte dir irgendwas einfallen oder … Ruf mich an … Ach ja, bald hätte ich’s vergessen, wie oft gehst du denn in den Reitclub?«
»Zwei-, dreimal die Woche.«
»Und kennst du dort jemanden, dem du zutrauen würdest, mit Selinas Tod etwas zu tun zu haben?«
Kopfschütteln.
»Okay, ich geh dann mal. Und wie gesagt, du kannst mich anrufen. Und Kopf hoch.« Am liebsten hätte sie Katrin in den Arm genommen, doch sie ließ es lieber bleiben, denn Katrin wollte nur noch allein sein. Leise machte sie die Tür hinter sich zu und ging nach unten. Sie hielt nach Katrins Vater Ausschau, der im Garten war und die Blumen goss. Ein Garten wie aus dem Bilderbuch, adrett angelegt, der Rasen millimetergenau geschnitten, ebenso die Hecke. Ein sauberes Haus, ein sauberer Garten. Was sich hinterden vier Wänden abspielte, ging keinen etwas an. Von ihrer Mutter und dem Bruder keine Spur, vielleicht waren sie nicht zu Hause, vielleicht hatten sie sich auch nur irgendwo im Haus verkrochen.
»Herr Laube?« Durant ging zu ihm. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, ohne jedoch das Wasser abzudrehen.
»Was ist?«
»Ich habe gehört, Sie sind ein angesehenes Mitglied im Reitclub …«
»Hat meine Tochter das gesagt?«
»Nein, so was spricht sich herum«, log Durant. »Sie haben doch sicherlich auch Selina gekannt.«
»Natürlich.« Er stellte den Wasserhahn ab und wickelte den Schlauch um die Aufhängung. »Das mit ihrem Tod ist uns allen sehr nahe gegangen. Ich kann nur hoffen, dass Sie Ihre Arbeit gut machen, sonst ist hier bald der Teufel los.«
»Was meinen Sie damit?«
»Warten Sie’s ab«, sagte er kalt lächelnd. »Wenn Sie den Dreckskerl nicht kriegen, werden wir das für Sie übernehmen. Und dann gnade ihm Gott.«
»Was wollen Sie tun, sollten Sie ihn vor uns finden? Ihn auch umbringen?«
»Ich werde jedenfalls keinen daran hindern. Noch Fragen?«
»Nein, fürs Erste nicht. Danke schön. Übrigens, auf Selbstjustiz
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