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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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lange.«
    »Moment.« Ein Surren, er drückte die Tür auf, warf einen Blick auf die Überwachungskamera, grinste maliziös, fuhr mit dem Aufzug in den elften Stock. Er schaute nach links und nach rechts, vergewisserte sich, dass er allein war und niemand ihn sehen konnte. Er kannte sich aus, er war schon einige Male hier gewesen, ging den rechten Gang bis zur letzten Tür und klopfte.
    Sie öffnete, zog die Stirn in Falten und sagte mit einem erstaunten Lächeln: »Seit wann bist du von der Polizei?«
    Er grinste jungenhaft und antwortete: »Nicht böse sein, es geht aber wirklich um Selina, und zwar um ihre Beerdigung. Wir würden uns wünschen, dass jeder, der sie kannte, einen kleinen Obolus dazu beiträgt. Darf ich reinkommen?«
    »Natürlich«, sagte sie und machte die Tür frei. »Du kennst dich ja aus.« Ihr Atem roch nach Alkohol, wie meist, wenn sie allein war. Eine leere Flasche Rotwein stand unter dem Tisch, eine noch halb volle daneben, das Glas war zur Hälfte gefüllt. Ihre Stimme war herb, so wie ihr Aussehen, obgleich sie auf eine gewisse Weise sehr anziehend wirkte. Sie war gerade vierzig geworden, um die Nasenflügel zwei tiefe Falten. Sie war sehr schlank, hatte eine attraktive Figur, die sie jedoch niemandem mehr zeigte, außer sich selber, wenn sie abends im Bad war oder sich umzog, zumindest machte sie das jeden glauben, doch er wusste es besser. Das Gesicht ungeschminkt, die Lippen blass, die einst funkelndgrünen Augen hatten ihren jugendlichen Glanz längst verloren. Trotz allem konnte man nicht sagen, sie würde sich gehen lassen,im Gegenteil, sie war eine gepflegte Erscheinung, und bisweilen kam es sogar vor, dass ihre Augen ein wenig aufblitzten und dabei glänzten. Sie hatte drei Arbeitsstellen, auch das erzählte sie jedem, der es wissen wollte, eine als Sprechstundenhilfe vormittags bei einem Arzt in Frankfurt-Sindlingen, nachmittags bei einer Frauenärztin in Hofheim und schließlich zweimal in der Woche für je zwei Stunden beim Gesundheitsamt in Höchst, ein ruhiger Job, der ihr nicht viel abverlangte, außer ans Telefon zu gehen und zwei oder drei Gespräche entgegenzunehmen und ein wenig am Computer zu sitzen. Die Arbeit war offensichtlich das Einzige in ihrem Leben, das ihr noch ein klein wenig Freude bereitete, aber bei weitem nicht genug, um die privaten Probleme damit kompensieren zu können.
    Eine Zigarette glimmte im Aschenbecher vor sich hin, ein Buch auf dem Tisch, das sie schnell zuklappte und ins Regal stellte. An der Wand seltsame Masken, die ihn jedes Mal aufs Neue faszinierten und die er sogar schon an ihrem Ursprungsort gesehen hatte, als er auf einer seiner Reisen einen Abstecher nach Haiti machte. Voodoo-Masken. Das Zimmer war schlicht, aber geschmackvoll mit dunklen antiken Möbeln eingerichtet, dennoch war die Atmosphäre kühl und wenig einladend, was angesichts der persönlichen Situation und ihrer Lebensgeschichte nicht verwunderte. Die Balkontür war geschlossen, wenn man jedoch stand, hatte man auch vom Zimmer aus einen phantastischen Blick auf die imposante Skyline von Frankfurt.
    »Nimm doch Platz«, sagte sie und deutete auf die aus massiver Eiche bestehende und mit grünem Samt bezogene Sitzgarnitur. Er setzte sich in den Sessel, mit dem Rücken zum Fenster. »Möchtest du was trinken? Wasser, Bier oder ein Glas Wein?«
    »Zu einem Bier sag ich nicht nein.«
    Sie ging in die Küche, kam mit einer Flasche und einem Glas wieder, schenkte ein, reichte es ihm und setzte sich in den anderen Sessel, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.
    »Was wollt ihr denn für Selina machen?«
    »Wir möchten einen besonders schönen Kranz für sie bestellen, und ich weiß ja nicht, inwieweit du in der Lage bist, etwas dazu beizusteuern.«
    »Natürlich gebe ich etwas dazu, so arm bin ich nun auch wieder nicht«, sagte sie kühl. »An wie viel hast du denn gedacht?«
    »Wären zehn Euro okay?«
    »Du meine Güte, wie schnell gibt man heutzutage zehn Euro aus! Es ist doch wohl selbstverständlich, vor allem kannte ich Selina ja auch.«
    »Das ist schön. Wie hast du das denn empfunden, als du davon gehört hast?«, fragte er.
    Sie sah aus dem Fenster, schien mit ihren Gedanken weit weg zu sein. »Wie soll ich es schon empfunden haben?! Ich habe mich gefragt, warum ein so junges Mädchen so sinnlos sterben musste. Es sind in letzter Zeit so viele Kinder und Jugendliche, von denen man hört und liest, die einfach umgebracht werden. Was geht bloß in den

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