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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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das letzte Weihnachten sein würde, ich habe meine Frau extra am Samstag vorher aus dem Krankenhaus geholt … Es hat Kerstin sehr mitgenommen, dass meine Frau so gelitten hat, obwohl sie sich das nie anmerken ließ … Sie waren beide sehr tapfer …«
    »Ich möchte jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, aber wann ist Ihre Frau krank geworden und wann ist sie gestorben?«
    »Sie haben Anfang 96 einen Knoten in ihrer Brust entdeckt, bei einer ganz normalen Vorsorgeuntersuchung. Sie wurde sofort operiert, aber die Metastasen hatten sich schon im ganzen Körper ausgebreitet. Sie hat Bestrahlungen bekommen, Chemotherapie, wir haben alles versucht, doch es hat nichts geholfen. Kerstin hat die Coole, Selbstsichere gespielt, aber sie hat so oft geweint, wenn sie allein war, und gedacht, ich würde das nicht merken … Kein Wunder, wenn man weiß, dass die Mutter bald sterben wird. Aber sie hat die Hoffnung trotzdem nie aufgegeben, genau wie ich. Und dann war Kerstin mit einem Mal weg. Meine Frau ist am 2. Januar eingeschlafen. Vielleicht hätte sie noch zwei oder drei Monate länger gelebt, aber dieser Schock war zu viel für sie. Die Zeitungen haben damals darüber geschrieben, ich hab sogar RTL und Pro Sieben eingeschaltet, die über Kerstin berichtet haben, aber Sie sehen ja, es war alles umsonst.«
    »Das heißt, Kerstin hat knapp ein Jahr lang miterlebt, wie Ihre Frau immer kränker wurde. Hat sie irgendetwas gegen ihren Kummer gemacht? War sie in einem Sportverein oder reiten, ich meine, hier in der Gegend gibt es einige Reiterhöfe …«
    »Kerstin war im Turnverein, sie hat in einer Sporttanzgruppemitgemacht, aber das schon vor der Krankheit meiner Frau. Pferde waren nicht so ihr Ding. Sie hatte aber einen Hund, der einen Tag vor Silvester plötzlich verschwunden ist. Man hat ihn tot am Baggersee gefunden, erfroren. Er war traurig, ich hätte nie gedacht, dass ein Hund so traurig sein kann …« Er hielt inne, schaffte es nicht mehr, die Tränen zu unterdrücken, zog ein Tempo aus der Hemdtasche, wischte sich verschämt die Tränen ab und putzte sich die Nase. Durant ließ ihm Zeit, sich wieder zu fangen, warf nur einen kurzen Blick zu Hellmer, der wie versteinert dasaß.
    »Wühler«, fuhr Grumack mit verklärtem Blick fort, nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, »so hieß er. Kerstin hat ihn so genannt, weil er immer irgendwas im Boden vergraben oder gesucht hat. Er ist ihr zugelaufen, als er noch ziemlich klein war. Kerstin hat ihn aufgepäppelt und, na ja, sie waren einfach unzertrennlich. Ich weiß noch genau, wie er am 23. Dezember spätabends mit einem Mal fast zwei Stunden lang ununterbrochen geheult hat. Es hat sich angehört wie ein Wolf, aber traurig. Er hat geheult und geheult, und obwohl ich versucht habe, ihn zu beruhigen, er hat einfach nicht aufgehört, er hat sogar nach mir geschnappt, was er noch nie zuvor gemacht hat … Danach hat er nichts mehr gefressen, er hat nur noch traurig in der Ecke gelegen.«
    »Haben Sie das unseren Kollegen damals gesagt?«
    »Nein, ich hab das nicht für wichtig gehalten, ich hab ja nur an Kerstin gedacht und gehofft, sie würde zurückkommen. Aber jetzt fällt mir das auf einmal ein. Es ist schon komisch, ausgerechnet jetzt … Er muss gespürt haben, dass Kerstin nicht wiederkommt. Er hat immer genau gewusst, wann sie nach Hause kommt. Er kannte die genauen Zeiten, wann sie Schule aushatte, und hat an der Terrassentür auf sie gewartet. Sogar wenn sie unerwartet früher aushatte, er hat’s gewusst und sich an die Tür gestellt. Manchmal hab ich das Gefühl gehabt, als könnte Wühler Gedanken lesen. Ja, und als dann Kerstin weg war, ist auch er gegangen.«
    »Sie sagen, er ist am 30. Dezember verschwunden. Wann hat man ihn denn gefunden?«
    »Das war Mitte Januar, als der Schnee allmählich geschmolzen ist. Er hat direkt am Wasser gelegen, an einer ziemlich versteckten Stelle, aber der Baggersee war ja in dem Winter zum ersten Mal seit langem wieder zugefroren. Wir hatten nachts zeitweise an die zwanzig Grad minus, und es hat ziemlich viel Schnee gelegen.«
    »Können Sie sich vorstellen, weshalb er sich zum Sterben ausgerechnet diesen Ort ausgesucht hat? Ist Kerstin mit ihm öfter dort spazieren gegangen? Und wussten meine Kollegen davon?«
    Grumack zuckte mit den Schultern und sah Durant ratlos an. »Ich hab’s gesagt, aber es hat sie nicht interessiert. Na ja, und Kerstin und Wühler waren im Sommer schon des Öfteren am Baggersee, aber sie sind auch

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