Kaltes Blut
ganz normal über die Felder gezogen oder runter an den Main gegangen. Eigentlich waren sie meistens am Main und sind dann hinten zum Schwarzbach und an den Tennisplätzen wieder zurück. Manchmal sind meine Frau und ich auch mitgegangen.«
Durant hatte eine düstere Ahnung, die sie jedoch vor Grumack nicht aussprechen wollte. Stattdessen sagte sie mit Blick auf die Bilder an der Wand: »Sie sind wieder verheiratet?«
Zum ersten Mal, seit die Beamten bei ihm waren, huschte so etwas wie ein Lächeln über seine Lippen. »Ja, allein hätt ich’s nicht ausgehalten. Erst Kerstin, dann meine Frau. Das Haus war mit einem Mal so unglaublich leer, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Außerdem war es der Wunsch meiner Frau, dass ich wieder heirate. Sie hat ja schon seit November gewusst, dass sie sterben würde, und als ich einmal bei ihr im Krankenhaus war, haben wir uns lange darüber unterhalten. Ich hab gesagt, ich würde nie wieder heiraten, aber sie hat nur gelacht und meine Hand genommen und gesagt, sie möchte nicht, dass ich allein bleibe, sie möchte, dass ich wieder heirate und glücklich werde. Und dann hab ich ein halbes Jahr später meine jetzige Frau kennen gelernt. Aber glauben Sie mir, die Erinnerung wird immer bleiben. Wenn man zwei Menschen, die man über alles geliebt hat, so kurz hintereinander verliert, dann ist das, als ob einem ein Brenneisen in die Haut gedrücktwird. Doch die Vergangenheit kann ich nicht wieder zurückholen … Aber jetzt mal im Ernst, Sie sind doch hergekommen, weil Sie glauben, dass Kerstin umgebracht wurde, genau wie die kleine Kautz. Aber man hat doch nie die Leiche meiner Tochter gefunden. Also könnte es doch immerhin sein, dass sie noch lebt. Oder?« Er sah die Kommissare Hilfe suchend an, als würde er auf eine Bestätigung warten. Doch die konnte und wollte Durant ihm nicht geben, sie wollte keine Hoffnungen schüren, wo ihrer Meinung nach keine mehr waren.
»Herr Grumack, wir sind hier, um vielleicht ein paar Parallelen zu dem Mord an Selina Kautz zu finden. Aber es gibt keine offensichtlichen. Das Einzige ist das Alter. Kerstin war fünfzehn und Selina auch. Wir sind Ihnen trotzdem sehr dankbar für die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben. Und alles Gute für die Zukunft.«
Durant und Hellmer erhoben sich und reichten Grumack die Hand.
»Sie können ruhig wiederkommen. Sie waren auf jeden Fall netter als Ihre Kollegen damals. Die haben mich sogar gefragt, ob ich Kerstin jemals …«
»Schon gut. Eine Frage noch – wo genau wurde denn der Hund gefunden?«
»Kennen Sie sich denn hier aus?«
»Herr Hellmer wohnt im Sterntalerweg.«
»Das ist ja gleich um die Ecke. Wenn Sie die Eichenstraße bis zum Ende fahren, wo’s nicht mehr weitergeht, dann kommen Sie auf einen Parkplatz. Von dort aus sind’s nur ein paar Schritte bis zum Baggersee. Es gibt dort einen kleinen Grillplatz, und wenn Sie links am Grillplatz vorbei runter zum Wasser gehen, dann ist es der rechte Baum direkt am Ufer. Wühler hat sich dort hingelegt, um zu sterben. Ohne Kerstin wollte er nicht mehr leben.«
»Danke.« Sie gingen wieder durch die Werkstatt, Durant sagte: »Machen Sie eigentlich alles, ich meine, alle Sorten von Möbeln?«
»Hauptsächlich Stühle, Tische, auch mal eine Kommode odereinen Schrank. Manche Kunden haben sehr ausgefallene Wünsche, und die versuch ich zu befriedigen.«
»Und Sie machen das ganz allein?«
»Nein, ich habe noch zwei Mitarbeiter, die sind aber gerade unterwegs.«
»Ich könnte eine neue Essgruppe gebrauchen. Es muss nichts Ausgefallenes sein, aber individuell. Was würde das denn so über den Daumen gepeilt kosten?«
»Wie groß soll sie denn sein?«
»Vier Stühle, ein Tisch. Am liebsten aus Kiefer.«
»Kommt drauf an. Doch so zwischen ein- und zweitausend Euro müssen Sie schon anlegen. Aber wenn ich das mache, dann haben auch noch Ihre Urenkel gut davon.«
Beim letzten Satz musste sie unwillkürlich lächeln. Enkel, Urenkel! Wenn der wüsste, dachte sie nur. »Herr Grumack, ich werde mich ganz bestimmt bei Ihnen melden, und dann besprechen wir, was ich mir vorstelle. Und jetzt noch einen schönen Tag.«
»Auf Wiedersehen«, sagte er und begleitete sie zur Tür.
Wieder im Auto, fragte Hellmer: »Sag mal, willst du dir wirklich von ihm eine Essgruppe schreinern lassen?«
»Klar, warum nicht. Andere Frauen schneiden sich nach einer Trennung die Haare ab, ich werde meine Wohnung neu gestalten. Ist sowieso längst
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