Kaltes Blut
Zufälle«, sagte Emily Gerber mit versteinerter Miene.
»Nein, die gibt es nicht. Weshalb haben Sie sich von Ihrem Mann zurückgezogen? Sie sind jung, hübsch, attraktiv, aber Sie haben ganz sicher nicht abstinent gelebt. Wollen Sie mir jetzt vielleicht die Wahrheit sagen?«
»Es gibt keine Wahrheit, es ist alles nur Lüge. Das ganze Scheißleben ist eine einzige große Lüge«, stieß sie hervor, sprang auf und stellte sich ans Fenster, die Hände in die Taschen der weißen Shorts gesteckt. Sie zitterte trotz der Wärme. Sie sah hinaus auf den Garten, der im prallen Sonnenlicht lag. Celeste und Pauline saßen am Rand des Swimmingpools und planschten mit ihren Füßen im Wasser.
»Was meinen Sie damit?«
»Nichts weiter.«
»Frau Gerber, wir haben es mit vier Morden zu tun. Und ich will verhindern, dass noch ein weiterer dazukommt. Ich denke, Sie sind in großer Gefahr. Ich kann Ihnen aber nur helfen, wenn Sie mir die volle Wahrheit sagen. Der Mann, mit dem wir es zu tun haben, kennt keine Skrupel. Aber er kennt Sie ganz genau, so wie er anscheinend über jeden Schritt von Selina und Miriam Bescheid wusste, und auch über Mischner und Miriams Mutter. Bitte, helfenSie mir, und ich verspreche Ihnen, dass alles, was Sie mir jetzt unter vier Augen sagen, vorläufig auch unter uns bleibt. Bitte.«
Emily Gerber schloss die Augen, alles in ihr war in Aufruhr, ihr Herz schlug rasend schnell, ihr wurde schwindlig, Funken tanzten vor ihren Augen, als sie sie wieder öffnete. Sie schluckte schwer, focht einen inneren Kampf, schließlich überwand sie sich und sagte, nachdem sie sich wieder umgedreht hatte: »Das Versprechen gilt? Sie haben auch kein Tonband dabei?«
»Ehrenwort. Und ich pflege meine Versprechen zu halten.«
Sie atmete noch einmal tief durch und schüttelte den Kopf. »Frau Durant, ich schwöre Ihnen, ich wusste bis zum Sommer letzten Jahres nichts von dem, was da auf dem Hof vor sich ging. Sie haben es immer heimlich gemacht. Manchmal bin ich schon ein bisschen stutzig geworden, wenn sich einige der Frauen so seltsam angesehen oder berührt haben, aber ich habe mir nichts weiter dabei gedacht, wahrscheinlich bin ich einfach zu naiv. Und dann kam die Frankreichfahrt …«
Sie erzählte Julia Durant fast das Gleiche wie am Abend zuvor ihrem Mann. Lediglich die Namen von Sonja Kaufmann und Helena Malkow erwähnte sie nicht, ebenso wenig die Sache mit den Pillen.
Nachdem sie geendet hatte, sagte Durant: »Sie haben ständig von den andern gesprochen. Wer sind denn diese andern?«
»Ich möchte keine Namen nennen. Sie tun nichts Unrechtes. Keiner tut irgendwem weh.«
»Wie sehen denn diese Spiele aus?«
»Es geht sehr zärtlich zu. Es ist kein harter Sex, sondern mehr ein Streicheln und Küssen. Keines der Mädchen wurde jemals missbraucht, um diesen Ausdruck zu verwenden. Es war alles ganz harmlos.«
»Den Begriff harmlos streichen wir jetzt erst mal. Was haben die Mädchen denn dazu gesagt? Es waren doch bestimmt einige dabei, die noch Jungfrau waren.«
»Wenn sie in der Zwischenzeit nicht mit einem Jungen oderMann geschlafen haben, dann sind sie auch jetzt noch Jungfrau. Wie gesagt, es war kein harter Sex. Aber mit der Zeit kamen die Schuldgefühle. Und das war schon vor der letzten Frankreichfahrt. Ich wusste, ich konnte so nicht weitermachen. Ich habe einen Mann, der mich liebt, ich habe zwei Töchter, die für mich wie Diamanten sind, und ich habe mir vorgestellt, eines Tages kommt jemand und macht mit Pauline und Celeste das, was wir mit Selina und Miriam gemacht haben. Und bei diesem Gedanken ist in mir eine unheimliche Wut hochgestiegen. Ich war so wütend auf mich, ich mochte mich nicht einmal mehr im Spiegel ansehen. Frau Durant, ich bin nicht lesbisch, auch wenn es auf den ersten Blick den Anschein hat. Ich habe es ausprobiert, und es war der größte Fehler meines Lebens. Und ich wünschte, ich könnte die Zeit ein Jahr zurückdrehen und das alles ungeschehen machen. Aber es geht nicht. Ich kann nur aus meinen Fehlern lernen.«
»Geht es eigentlich auf allen Reiterhöfen so zu?«
Emily Gerber lachte auf und schüttelte den Kopf. »Nein! Wir sind wohl eher die Ausnahme. Jetzt aus dem, was ich gesagt habe, zu schließen, alle Reiterinnen wären potentielle Lesben – nein, damit würde ich ein paar hunderttausend Mädchen und Frauen sehr Unrecht tun. Es gibt unter den Reiterinnen nicht mehr Frauen mit lesbischer Neigung als unter anderen Frauen. Es ist ungefähr das Gleiche, als würde
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