Kaltes Blut
Radios hochdrehte und in weniger als einer Viertelstunde auf dem Präsidiumshof anlangte.
»Herr Hellmer hat mir bereits ausführlich von gestern Abend berichtet. Sie sind also auch der Überzeugung, dass dieser Gerber nichts mit dem Tod des Mädchens zu tun hat?«, sagte Berger nach einer kurzen Begrüßung und nachdem sie sich gesetzt hatte.
»Überzeugt bin ich erst, wenn auch die letzten Zweifel ausgeräumt sind«, erwiderte sie gelassen. »Allerdings klingt seine Geschichte sehr glaubhaft. Und nach dem Gespräch mit seiner Frau …« Sie schüttelte den Kopf. »Wir können uns natürlichtäuschen, aber er ist kein Mörder. Ist eigentlich der angebliche Anruf, den er in der Nacht erhalten haben will, schon gecheckt worden?«
»Wir sind dran«, sagte Berger.
»Gut. Aber eigentlich interessiert mich viel mehr, was es mit diesen siebenundsiebzig Einstichen auf sich hat.«
»Herr Hellmer hat das auch schon erwähnt. Schauen Sie sich die Kleine in aller Ruhe an. Bock kann Ihnen möglicherweise auch einiges dazu sagen, er hat große Erfahrung. Und noch was: Wollen Sie den Eltern auf die Nase binden, dass ihre Tochter schwanger war?«
Julia Durant schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, es gibt Dinge, die man nicht unbedingt erwähnen muss. Das bringt ihnen zum einen die Tochter nicht zurück, und zum andern stiftet es nur noch mehr Verwirrung und vor allem Unfrieden. Wer hat etwas davon? Niemand. Sie sollen ihre Tochter so in Erinnerung behalten, wie sie war. Sie war zwar nicht der Engel, als den sie alle hinstellen, aber sie war auch kein schlechtes Mädchen. Und wenn die Eltern erfahren, mit wem sie ein Verhältnis hatte, dann wird nur unnötig Porzellan zerschlagen. Ich würde sagen, wir unternehmen nichts in dieser Richtung. Außerdem kenne ich keinen Paragraphen, nach dem wir verpflichtet sind …«
»Schon gut, schon gut«, wurde sie von Berger unterbrochen, »ich wollte jetzt keinen Vortrag von Ihnen hören. Ich bin ja ganz Ihrer Meinung, es wäre nämlich auch mein Vorschlag gewesen. Aber zu etwas anderem: Haben Sie eine Vermutung, wo das Mädchen fast einen Tag gewesen sein könnte? Was sagt Ihr Bauch?«
»Ph, wenn ich das wüsste! Es gibt für mich im Moment drei Möglichkeiten, wie sich alles abgespielt haben könnte. Erstens, der Mörder ist gewaltsam in die Praxis eingedrungen, hat Selina betäubt und entführt. Zweitens, er hatte einen Schlüssel zur Praxis, wobei Gerber jedoch sagt, es gebe insgesamt nur drei Schlüssel, von denen er zwei besitzt, einen hat die Sprechstundenhilfe,die noch befragt werden muss. Und drittens, der Mörder hat geklingelt, Selina kannte ihn und hat ihm entgegen aller Abmachungen geöffnet. Wohin sie verbracht wurde und was er mit ihr angestellt hat, keine Ahnung. Es ist ein riesengroßes Rätsel.«
Das Telefon klingelte, Hellmer saß am nächsten und nahm ab. Emily Gerber.
»Herr Hellmer, ich habe es schon bei Ihnen zu Hause probiert, aber Ihre Frau sagte mir, dass Sie im Büro sind. Mein Mann und ich haben uns die halbe Nacht wegen Selina den Kopf zerbrochen und natürlich auch alle möglichen Vermutungen angestellt, wer sie auf dem Gewissen haben könnte.«
Als sie nicht weitersprach, meinte Hellmer: »Wenn Sie einen Verdacht haben, dann sagen Sie es bitte.«
»Nun, wir hatten einen Stallburschen, der im November 98 eine unserer Reitschülerinnen vergewaltigt und misshandelt hat. Er wurde damals zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Eigentlich müsste er noch im Gefängnis sein, aber vielleicht ist er ja auch schon wieder draußen. Ich weiß nur, dass er sich zu der Zeit auch meistens dort aufgehalten hat, wo Selina war. Es ist nur ein Verdacht, aber …«
»Wie heißt der Mann?«
»Gerhard Mischner.«
»Mischner? M-i-s-c-h-n-e-r?«
»Ja, so schreibt er sich.«
»Danke, Frau Gerber, wir werden uns drum kümmern. Wir brauchen aber noch ein paar Angaben zu Herrn Mischner. Können wir im Laufe des frühen Nachmittags bei Ihnen vorbeischauen?«
»Im Augenblick bin ich auf dem Reithof, aber ich bin spätestens um eins zu Hause.«
Hellmer legte auf und sah in die Runde. »Ihr habt’s mitbekommen. Peter, forsch doch mal nach, ob dieser Mischner vorzeitig entlassen wurde, und falls ja, wo er wohnt. Julia und ich machenuns jetzt rüber zu Bock, du kannst ja anrufen, sobald du Näheres weißt.«
»Nicht so hektisch, die paar Minuten werdet ihr doch mal warten können«, sagte Kullmer, setzte sich an den PC und gab den Namen ein. Er druckte drei Seiten aus und
Weitere Kostenlose Bücher