Kaltes Blut
reichte sie Hellmer. »Interessant, nicht?«
»Schau an, schau an, der Junge hat ja mächtig was auf dem Kerbholz. Seine erste Jugendstrafe mit fünfzehn wegen Vergewaltigung einer Siebzehnjährigen, allerdings zur Bewährung, weil die Vergewaltigung nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte und die Aussage des Mädchens widersprüchlich war. Ein Jahr später Anklage wegen Besitz und Handel mit weichen Drogen und Ecstacy, aber wieder nur Bewährung, weil die Psychologin ihm ein positives Gutachten ausgestellt hat. Danach ist er eine Weile von der Bildfläche verschwunden, dann ist er auf dem Reiterhof in Eddersheim gelandet, wo er als Stallbursche angestellt wurde. November 98 schließlich die Vergewaltigung einer gewissen Silvia Maurer. Es war aber wieder nur ein Indizienprozess, da sie ihn nicht erkannt hat, weil er sie von hinten angefallen, niedergeschlagen und gewürgt hat. Es wurden jedoch eindeutig seine Spermaspuren an ihren Kleidern nachgewiesen. Diesmal Verurteilung zu vier Jahren ohne Bewährung. Und dann im Januar dieses Jahres vorzeitig entlassen wegen guter Führung und weil ihm erneut ein positives Persönlichkeitsprofil bescheinigt wurde. Er hat im Knast eine Therapie gemacht und gilt als resozialisierbar. Seit seiner Entlassung wohnhaft in Hofheim, arbeitslos …«
»Wie alt?«, fragte Durant.
»Siebenundzwanzig, sieht aber viel jünger aus, wie ein Milchbubi. Er ist also in der Zeit zwischen seinem sechzehnten und vierundzwanzigsten Lebensjahr nicht straffällig geworden. Zumindest gibt es keine Einträge darüber. Dann aber richtig. Die Gerber kann uns sicher mehr über ihn erzählen. Das hier reicht mir nicht. Fahren wir rüber in die Uni und anschließend nach Hattersheim. Sollte irgendwas sein«, Hellmer deutete auf sein Handy.
Samstag, 10.50 Uhr
Emily Gerber, Sonja Kaufmann und Helena Malkow standen zusammen mit ihren Männern beim Reitstall und unterhielten sich. Ausschließliches Thema war der Tod von Selina Kautz. Das Volitigiertraining war abgesagt worden, Emily Gerber hätte es als pietätlos empfunden, wenn man nur einen Tag nach dem Auffinden von Selinas Leiche wieder zur Tagesordnung übergegangen wäre. Nur wer ausreiten wollte, konnte dies tun. Etwas später stieß auch noch Thomas Malkow zu der kleinen Gruppe, beteiligte sich jedoch nicht an der Diskussion, sondern hörte nur aufmerksam zu.
»Weiß einer von euch, wie sie gestorben ist?«, fragte Helena Malkow und sah in die Runde.
»Gestern Abend war die Polizei bei uns und hat uns Fragen über Selina gestellt«, sagte Andreas Gerber. »Aber sie wollten uns nicht verraten, wie sie getötet wurde.«
»Wahrscheinlich so bestialisch, dass sie es lieber für sich behalten.« Achim Kaufmann zündete sich einen Zigarillo an und steckte die linke Hand wieder in die Hosentasche. »Wenn ich diesen Typ in die Pfoten kriegen würde, ich … In mir kommt die blanke Wut hoch.« Er schüttelte den Kopf und verbesserte sich: »Nee, das ist keine Wut mehr, das ist nur noch Hass auf dieses verdammte Dreckschwein. Da hat ein junges Mädchen noch das ganze Leben vor sich, und dann kommt so einer daher und …«
»Wem sagst du das.« Werner Malkow sah seine Frau dabei an, die seinen Blick nur kurz erwiderte. »Wir leben halt in einer dekadenten Welt, damit müssen wir uns abfinden. Oder hast du etwa geglaubt, diese ganze Scheiße, von der man immer wieder hört, würde vor unserem Ort Halt machen? Vergiss es! Aber mal was anderes, gibt es denn jemanden, dem ihr das zutrauen würdet?«
»Mir fällt nur einer ein«, antwortete Emily Gerber, »Mischner. Ich habe eben schon die Polizei angerufen und ihnen die Geschichte von damals erzählt.«
»Aber der ist doch im Knast, oder ist er etwa schon wieder draußen?«
»Das soll die Polizei rausfinden. Wenn du heute zu vier Jahren verurteilt wirst, heißt das noch längst nicht, dass du auch vier Jahre drin bleibst. Die meisten kommen doch schon früher wieder raus.«
»Trotzdem«, sagte Achim Kaufmann zweifelnd, »ich kann mir nicht vorstellen, dass er Selina umgebracht hat. Erstens müsste er wieder frei sein, und zweitens, welches Motiv hätte er haben sollen? Selina hat ihm doch nie was getan.«
»Irrtum«, mischte sich Helena Malkow ein, »sie hat ihm zwar nichts getan, aber wir alle wissen, dass er immer ein Auge auf sie hatte. Wer das nicht gemerkt hat, muss blind gewesen sein. Außerdem, muss man heutzutage jemandem etwas tun, um umgebracht zu werden? Man liest doch immer wieder, dass
Weitere Kostenlose Bücher