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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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wird, schreien wir. Aber wenn in Afrika, Südamerika oder Asien jeden Tag Tausende von Kindern verhungern oder durch Krieg umkommen, interessiert das einen von uns?! Wir wissen doch gar nicht, was Elend wirklich ist. Ich hab’s auf meinen Reisen nach Asien und Südamerika ein paarmal gesehen, das Elend, und alle, die das zulassen, sind in meinen Augen genauso Mörder wie derjenige, der Selina auf dem Gewissen hat. Diese Welt steht am Abgrund, aber keiner scheint’s zu merken. Und diejenigen, die es merken, werden verlacht oder nicht gehört.«
    »Du kannst doch das eine nicht mit dem andern vergleichen!«, entgegnete Achim Kaufmann aufgebracht. »Wir sind nicht in Afrika oder Bangladesh oder … sondern in einem zivilisierten Land …«
    »Ach ja, sind wir das? Was ist denn Zivilisation? Nur weil wir ein hochtechnisiertes Volk sind, weil wir uns allen möglichen Luxus leisten können, weil wir zwei, drei oder mehr Autos fahren,sind wir deswegen zivilisiert? Für mich ist jemand dann zivilisiert, wenn er das Herz auf dem rechten Fleck hat. Wir sind nicht mehr oder weniger zivilisiert als der ärmste Bettler in den Straßen von Kalkutta oder Rio. Nur mit dem Unterschied, dass er jeden Tag ums Überleben kämpfen muss, während wir uns überhaupt keine Gedanken darüber machen müssen, weil wir ja alles haben. Wir alle hier können unsere Kinder auf teure Schulen schicken, wir verdienen an einem Tag mehr als Hunderte von Millionen Menschen in einem Monat oder gar in einem Jahr. Bei uns kommt Wasser aus der Leitung, das man unbedenklich trinken kann, während man sich woanders oftmals das Wasser aus verseuchten Brunnen holt. Und wisst ihr was, das für mich so Perfide ist, dass ausgerechnet diese Menschen dort ein Herz haben, wo bei den meisten von uns längst ein Stein ist. Ich hab Menschen unter den unwürdigsten Bedingungen krepieren sehen, und ich habe mir gewünscht, ich hätte nur ein kleines bisschen dazu beitragen dürfen, dieses Elend zu lindern. Wir sehen mit den Augen, aber nicht mit dem Herzen. Das ist eine Tatsache, die wir aber nur zu gerne ignorieren.«
    »Blödsinn, Mann, keiner ignoriert das«, fuhr ihn Achim Kaufmann an. »Wenn ich den Fernseher anmache, dann sehe ich jeden Tag diese Bilder. Aber was kann ich dagegen tun? Sag’s mir, du Schlaumeier! Außerdem, was hat das mit Selina zu tun? Jeder von uns hat sie gekannt und gemocht. Und ich mag auch ihre Eltern. Ich bin gerne bereit, mit dir ein andermal über die Probleme in der Dritten Welt zu diskutieren, aber ganz bestimmt nicht heute.«
    »Sorry, ist wohl nicht mein Tag, wollt sowieso nur mal vorbeischauen. Macht’s gut.«
    »Sei doch nicht gleich eingeschnappt«, sagte Helena Malkow mit versöhnlicher Stimme. »Ich weiß ja, dass du anders denkst, aber Selina war schließlich eine von uns.«
    »Eine von euch?«, erwiderte er mit vieldeutigem Blick. »Sie war eine eurer Schülerinnen, nicht mehr und nicht weniger. Sie wäre vielleicht irgendwann eine von euch geworden …«
    »Was soll das denn jetzt schon wieder heißen? Natürlich war sie eine von uns, alleine schon deshalb, weil ihre Eltern unsere Freunde sind.«
    »Schon gut. Es tut mir ja auch in der Seele weh, dass sie so scheinbar sinnlos gestorben ist. Möge derjenige zur Rechenschaft gezogen werden, der ihr das angetan hat, und ich hoffe und bete, dass man ihn bald findet, denn ich habe Selina auch sehr gemocht. Ich wollte eigentlich bloß sagen, das wir nur dann schreien, wenn in unserer direkten Umgebung ein solches Unglück passiert. Warum schreien wir nicht, wenn in dem Moment, wo Selina gestorben ist, gleichzeitig zehn oder zwanzig andere Kinder verreckt sind, weil sie nichts zu essen hatten?« Er hob die rechte Hand zur Beschwichtigung und fuhr fort: »Wisst ihr was, kommt morgen in die Kirche, auch wenn einige von euch den Sonntag lieber zum Ausschlafen nutzen. Meine Predigt steht übrigens schon.«
    »Du machst mich richtig neugierig«, sagte Werner Malkow grinsend. »Wenn mein Bruder diesen Ton draufhat, dann hat er immer was vor. Ich werde da sein.«
    »Du kommst ja sowieso jeden Sonntag. Euch beide hab ich lange nicht gesehen«, sagte er und schaute Achim und Sonja Kaufmann herausfordernd an. »Ist der Tod von einem eurer Mädchen nicht Grund genug, wenigstens einmal in die Kirche zu kommen? Ihr seid jedenfalls herzlich eingeladen.«
    Achim Kaufmann verdrehte die Augen und sagte: »Schon gut, wir kommen. Um zehn?«
    »Ich sehe, die Zeit hast du behalten. Am besten ein

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