Kaltes Blut
trieben, inmitten dieses Geruchs aus Heu, Dung und den Ausdünstungen der Pferde. Sie stöhnten kaum hörbar, nur einmal ein kurzer Lustschrei. Und Flüstern. Dazwischen immer wieder das verhaltene Schnauben der Pferde, als bekämen sie mit, was in der kleinen Abseite geschah. Natürlich bekamen sie es mit, Pferde konnten sehr leicht erregt werden. Und wenn es Menschen waren, die sie kannten, dann konnte diese Erregung sogar sehr stark werden. Als sie fertig waren, kamen sie aus der Abseite, als wäre nichts gewesen, streichelten die Pferde und strichen ihnen beruhigend über den Kopf und gingen nach draußen. Zwanzig Minuten, manchmal auch eine halbe Stunde, jedoch selten länger.
Er hasste sie, er hasste sie alle. Er wartete, bis sie am Auto waren und einstiegen, der Motor gestartet wurde und sie losfuhren, wohin, auch das wusste er. Erst als sie weg waren, schlich auch er vom Hof, so unbemerkt, wie er gekommen war.
Er war anschließend noch in der Birkenklause gewesen, einer kleinen Kneipe im Herzen von Okriftel. Er hatte zwei Bier und zwei Klare getrunken. Er hatte es nicht weit bis nach Hause, keine zehn Minuten. Hattersheim war klein, ganz gleich, in welchem Ortsteil man wohnte, man brauchte nie länger als zehn Minuten.
Er ging ins Bad, wusch sich und putzte sich die Zähne. Er würde morgen ausschlafen und einen geruhsamen Tag verbringen. Ihmging noch einmal das gestrige Telefonat mit seinem Vater durch den Kopf. Unbändiger Hass stieg in ihm hoch. Lass mich zufrieden, alter Hurenbock. Ja, du bist ein Hurenbock, einer dieser verdammten Heuchler, die nach außen vorgeben, ehrenwert zu sein, aber innen drin bist du wie verfaultes Aas. Aber wie hat Mutti immer so schön gesagt, bevor du sie in den seelischen Tod getrieben hast, sei nicht böse auf ihn und rede nicht so gehässig, er ist schließlich dein Vater. Ja, du bist mein Vater, aber nur biologisch, ansonsten trennen uns Welten! Und glaub bloß nicht, ich würde diesen verfluchten Job annehmen!
Er zog sich einen Pyjama an, legte sich ins Bett, auf den Rücken, die Arme über dem Bauch gekreuzt. Die Königsstellung. Ich bin anders als ihr, ich bin etwas Besonderes. Ich werde es euch allen zeigen. Er hörte sie die Treppe heraufkommen und in ihr Zimmer gehen. Er registrierte es nur nebenbei. Und, Vater, bitte, verzeih mir, ich habe es eben nicht so gemeint. Ich weiß ja, du kannst nichts dafür, keiner kann etwas dafür, wie er ist. Wir machen doch alle Fehler.
Samstag, 7.55 Uhr
Julia Durant wachte auf, als die Sonne mit Wucht ins Zimmer schien und sie blendete, weil sie wieder einmal die Vorhänge nicht zugezogen hatte. Doch sie blieb liegen und drehte sich auf die andere Seite. Sie hatte geträumt, konnte sich aber nicht an den Traum erinnern. Nur Fragmente waren hängen geblieben, die jedoch kein Bild ergaben. Sie fühlte sich ausgeruht, schaute zum Wecker, sie hatte kaum sechs Stunden geschlafen. Hellmer war sicher noch nicht im Präsidium, Berger vielleicht. Nachdem sie einen Schluck Wasser aus der Flasche neben ihrem Bett getrunken hatte, setzte sie sich auf. Ein Blick zur Seite, dorthin, wo Kuhn bis gestern noch geschlafen hatte. Sie würde in Ruhe frühstücken, die Küche aufräumen und anschließend insBüro fahren und Bock anrufen und bitten, in das Institut für Rechtsmedizin zu kommen. Sie wollte gerade ins Bad gehen, als das Telefon klingelte.
Berger.
»Was gibt’s?«, fragte Durant und gähnte.
»Sie hören sich verschlafen an. Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt?«
»Nein, nein, ich bin schon eine Weile wach.«
»Ich wollte nur fragen, wann Sie ins Büro kommen? Ihre Kollegen sind schon da. Wir hätten Sie aber gerne bei der Besprechung dabei. Wann können Sie hier sein?«
»Geben Sie mir eine Stunde. Ach ja, Hellmer soll mal bei Bock durchklingeln und ihn fragen, wann er in der Rechts…«
»Alles schon geschehen, Frau Kollegin. Prof. Bock erwartet Sie und Herrn Hellmer um elf Uhr. Deshalb sollten Sie sich beeilen, denn wir haben vorher noch einiges zu besprechen.«
»Wenn das so ist, mach ich mich schnell fertig.«
Was zum Teufel macht Frank so früh im Büro?, dachte sie und wusch sich das Gesicht, aß eine Schale Cornflakes und trank eine Tasse Kaffee, verzichtete aber auf die früher übliche Zigarette nach dem Frühstück. Sie war stolz auf sich, und wenn sie es jetzt schon seit einigen Tagen morgens schaffte, warum dann nicht irgendwann für immer? Sie war gut gelaunt, als sie in ihr Auto stieg, die Lautstärke des
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