Kaltes Blut
Nieren.«
»Na ja, nichts für ungut. Bis morgen, oder kommt ihr nicht in die Kirche?«
»Ich denke, wir sollten Christian den Gefallen tun.«
»Eben. Kommst du auch mit nach Hause, Sonja?«
»Nein, fahr schon vor, ich hab noch was mit Helena zu bereden.«
»He, warte«, rief Malkow und rannte hinter ihm her. »Lass uns noch ein Bier trinken gehen.«
»Von mir aus«, sagte Kaufmann sichtlich genervt, »diese Labertaschen gehen mir heute ziemlich auf den Sack.«
»Meinst du mir nicht?«, entgegnete Malkow lachend und ging mit Kaufmann in eine um diese Zeit kaum besuchte Kneipe unweit des Reiterhofs.
Andreas Gerber wartete, bis seine Frau aus dem Stall kam. Es war kurz nach zwölf. Die beiden Mädchen spielten bei den Ponys und schienen viel Spaß dabei zu haben. Sie waren glücklicherweise in einem Alter, in dem sie mit der ganzen Situation noch nichts anfangen konnten. Aber irgendwann würden sie begreifen, was in diesen Tagen in Okriftel geschehen war.
Auf dem Weg nach Hause wurde kaum gesprochen, die Fahrt dauerte nur sieben Minuten. Zu Hause zog sich Emily Gerber um und machte den Kindern etwas zu essen, sie selbst hatte keinen Hunger. Andreas Gerber begab sich kurz in sein Arbeitszimmer. Als er gerade wieder herunterkam, klingelte das Telefon. Helga Kautz. Ihre Stimme klang heute etwas gefestigter. Sie bat ihn vorbeizukommen, es sei sehr dringend, ihrem Mann gehe es sehr schlecht und sie habe Angst um ihn. Gerber verabschiedete sich von seiner Frau mit einem Kuss. Da war wieder dieser traurige und verlorene Blick. Er nahm sie wortlos in den Arm und streichelteihr eine Weile übers Haar und über den Rücken, küsste sie auf den Hals, in sich ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit, wie er es lange nicht verspürt hatte. Auch Selina hatte ihm dieses Gefühl nicht geben können. Es war doch ein Unterschied, ob man eine Fünfzehnjährige im Arm hielt oder eine Frau, die man schon seit über sechzehn Jahren kannte.
»Ich liebe dich«, flüsterte er ihr leise ins Ohr. »Ich liebe dich mehr als irgendjemanden sonst auf der Welt.«
Sie erwiderte nichts darauf, hatte nur Tränen in den Augen, und er meinte zu wissen, was diese Tränen bedeuteten. Selina.
Samstag, 11.00 Uhr
Institut für Rechtsmedizin der Universität Frankfurt. Die Leiche war noch zugedeckt, der unverwechselbare Geruch der Pathologie aus Desinfektionsmitteln, Laugen und vor allem Tausenden von aufgeschnittenen Körpern hatte sich in jeder Ritze des kalten Raums mit dem kalten Licht festgesetzt.
»Wollen Sie erst die Fotos sehen oder erst die Leiche?«, fragte Bock mürrisch, dem es sichtlich missfiel, an seinem heiligen Wochenende arbeiten zu müssen.
»Erst die Leiche«, sagte Durant.
Bock zog das grüne Tuch weg, Durant und Hellmer starrten auf den toten Körper. Bock hatte sie nach der Obduktion gewaschen und tatsächlich so zugenäht, wie Hellmer ihn gebeten hatte.
»Und Sie sind ganz sicher, dass es siebenundsiebzig Einstiche sind?«, fragte Hellmer.
»Sie können ja nachzählen«, antwortete Bock trocken.
»Ich vertraue Ihnen«, entgegnete Hellmer ebenso trocken. »Wurde der Fötus getroffen?«
»Nein. Ich habe ihn dort drüben in dem Glas aufbewahrt. Aber es ist noch kein Fötus, sondern ein Embryo. Von Fötus spricht man erst ab dem dritten Schwangerschaftsmonat. Ich hab’s mirnoch mal genau angeguckt, der Embryo ist circa sechs Wochen alt.«
Durant und Hellmer wandten ihre Köpfe und sahen ein kaum fingernagelgroßes Stück Fleisch, das einmal ein Mensch werden sollte. Eingelegt wie saure Gurken oder Soleier und erst bei genauem Hinsehen als werdender Mensch zu erkennen.
»Spermaspuren von einer Person oder mehreren?«
»Ich habe nur eine Spermasorte identifizieren können.«
Hellmer beugte sich weiter nach unten, betrachtete die Einstichstellen und sagte: »Der Täter hat eine relativ schmale Klinge verwendet. Auf was tippen Sie?«
Bock zuckte mit den Schultern. »Entweder ein Stilett oder ein Messer mit einer dünnen zweischneidigen Klinge von zwölf bis fünfzehn Zentimetern. Die Einstiche sind auch nicht sonderlich tief, die meisten nur etwa ein bis zwei Zentimeter. Das heißt, die meisten Stiche wären nicht tödlich gewesen, aber die ins Herz waren es leider, denn die waren auch entsprechend tiefer, um genau zu sein, zwölf Zentimeter, wobei der Stichkanal oben etwas breiter ist. Hier, schauen Sie, sechs Stiche rund ums Herz, einer genau in die Mitte, wobei er sehr gezielt getroffen hat.«
»Heißt das, er
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