Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
auch nicht einreden, dass es sich hier um statistische Zufallshäufungen oder, einfacher ausgedrückt, um blanke Zufälle handelte. Andererseits konnte ich nicht erkennen, wie alles miteinander zusammenhängen sollte. Man würde eben an verschiedenen Enden ziehen müssen, um zu sehen, wie sich der Knoten lösen ließ.
Ich gab unserer Sekretärin kurz Bescheid und fuhr einkaufen.
Ich nahm Biomilch und etwas Emmentaler, Hühnerkrägen für Gismo. In der Wurstabteilung schien alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Ich ließ mir eine Schinkensemmel einpacken. Eine Hilfskraft legte im Selbstbedienungsbereich neue Styroporschalen mit Schweinefleisch auf. Beim Frischfleischverkauf stand ein stämmiger Mann um die vierzig, den ich noch nie gesehen hatte. Niemandem, der hier einkaufen ging, würde auffallen, dass die Leiterin der Fleischabteilung verschwunden war.
Am Stand mit Zeitungen und Zeitschriften lagen das »Magazin« und das »Blatt« einträchtig nebeneinander. Wir titelten diese Woche mit »Sex ist gesund!« Das »Blatt« machte seine heutige Ausgabe mit der Schlagzeile auf: »Die Sexspiele des Ministers!« Bisweilen schien nicht sehr viel Unterschied zwischen unseren beiden Medien zu bestehen. Es ging um die Auflage, um die Verkaufszahlen. Aber allemal: Bei uns wurde recherchiert und nicht denunziert. Zumindest in den meisten Fällen.
Als ich meinen Wagen in den Gang mit Konserven und Fertiggerichten schob, entdeckte ich Vesna. In ihrem blau-gelben Ultrakauf-Kittel sah sie für mich völlig fremd aus. Vesna und jede Art von Uniform – das passte einfach nicht zusammen. Sie nickte mir verstohlen zu. Ich sah mich um und ging zu ihr hinüber. Sie sortierte Gulaschdosen ein, als hätte sie keine anderen Interessen auf dieser Welt.
»Wo können wir ungestört …?«, flüsterte ich.
»Hier ist in Ordnung«, erwiderte sie.
Ich sah zur Decke. Irgendwo würden Überwachungskameras sein.
Vesna deutete meinen Blick richtig und meinte: »Kameras gibt es nicht, zu teuer. Da kommt billiger, was gestohlen wird. Leute sind ziemlich ehrlich, muss man sagen.«
»War schon einer der Kriminalbeamten da?«
»Schneyder selbst und ein zweiter. Haben gefragt, ob wer was über Karin weiß. Ich habe mich blöd gestellt und gefragt, ob man sie als Opfer oder Täterin sucht. Das wissen sie nicht, sag ich dir. Sie haben Verdacht, dass sie sich aus dem Staub gemacht haben kann.«
»Ich kann mir das nicht vorstellen, so können wir uns nicht in ihr getäuscht haben.«
»Vorstellen kann ich mir das schon, aber glauben?« Vesna wiegte zweifelnd den Kopf.
»Kannst du herausfinden, was in der Fleischabteilung über Karins Verschwinden geredet wird?«
»Ich habe schon probiert. Aber noch hab ich nichts Neues erfahren, da wissen wir mehr als die. Aber vielleicht kann ich in der Pause noch einmal fragen.«
»Ist Grete da?«
»Nein, ich habe sie nicht gesehen. Nie weiß man, wer welche Schicht hat. Lange bleibe ich nicht mehr da. Beim Putzen verdiene ich mehr, bin meine eigene Chefin und kann mir Zeit einteilen, wie es mir passt. Aber zuerst wir müssen herausfinden …«
Am oberen Ende des Ganges tauchte der Filialleiter auf. Vesna griff nach den nächsten Dosen, und ich sagte laut: »Vielen Dank, dann kann man auch nichts machen.«
Sie zwinkerte mir zu und grinste.
Ich grüßte den Filialleiter freundlich und rauschte in Richtung Kasse. Er grüßte irritiert zurück, konnte sich nicht entscheiden, was zu tun war, und tat dann so, als inspiziere er die Regale.
Ob das »Blatt« schon vom Verschwinden der roten Karin erfahren hatte? In den Presseagenturen hatte ich keine Meldung darüber gefunden. Tagelang war nichts mehr über die Vorfälle im Ultrakauf zu lesen gewesen, aber eines musste man dem »Blatt« lassen: Es verfügte über ausgezeichnete Quellen. Ich saß im Auto, biss in die Schinkensemmel und blätterte die Zeitung noch am Parkplatz durch.
Ich hatte mich nicht getäuscht.
»Fleischerin verschwunden: Hat sie Chef auf dem Gewissen?
Der Mord an dem Ultrakauf-Regionaldirektor Sascha H. ist weiterhin ungeklärt. Seit Wochen jedoch erhärten sich die Verdachtsmomente, dass die Bluttat in Zusammenhang mit einer Fehde der Gewerkschaft gegen den erfolgreichen Manager steht. Wie berichtet, hatte eine ausgebildete Fleischerin, die auch als Betriebsrätin tätig ist, Sascha H. wiederholt bedroht. Nun wurde bekannt, dass sie untergetaucht ist. Das mysteriöse Verschwinden der Frau könnte als weiteres Indiz dafür gelten, dass
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