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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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Metalltisch. Anders als
die arme Violet Chambers, deren Leichnam in eine Plastikplane gewickelt
war und eher verwittert und vertrocknet als verwest ausgesehen hatte,
war diese hier größtenteils von Bakterien und Insekten zerfressen
worden. Übrig geblieben war ein fleckiges Skelett, an dem noch ledriges
Fleisch hing. Die Augen waren verschwunden, der Schädel von einer
dünnen, ausgedörrten Hautschicht überspannt, die sich von den
verfärbten Zähnen zurückgezogen hatte, so dass die Leiche aussah, als
ob sie unablässig schrie.
    »Sehen sie alle so aus?«, fragte Dr. Catherall.
    »Wenn Sie sie in der richtigen Reihenfolge
nebeneinanderlegen«, erklärte Lapslie ihr, »dann könnten Sie ein Foto
machen und es dazu benutzen, den Prozess der Verwesung von Anfang bis
Ende zu illustrieren.«
    »Der Tod ist also zu unterschiedlichen Zeiten eingetreten?
Womöglich über einen Zeitraum von mehreren Jahren?« Ihr Gesicht verzog
sich zu einem Lächeln. »Ich freue mich richtig darauf.«
    Lapslie betrachtete ihre winzige, verbogene Gestalt. »Werden
Sie's denn schaffen?«
    Einen Moment lang blickte sie geradezu rebellisch drein. »Ich
muss ja wohl, oder?«
    Lapslie runzelte die Stirn. »Ich habe versucht, ein paar von
den Leichen anderen Pathologie-Instituten zuzuweisen, aber man hat mir
gesagt, es sei sonst niemand verfügbar.«
    Dr. Catherall lächelte und wandte sich ab. Während der
nächsten Stunden untersuchte sie die ankommenden Leichen, eine nach der
anderen, mit derselben Konzentration und Hingabe, die sie bei der
Untersuchung von Violet Chambers gezeigt hatte. Gewebeproben wurden in
Plastikbehälter getan, in durchsichtigen Umschlägen versiegelt und zur
Laboruntersuchung geschickt. Fotos wurden gemacht, Skizzen angefertigt
und Befunde diktiert.
    Lapslie, der dabeisaß und ihre Arbeit verfolgte, kam das alles
vor wie ein Traum; ein niemals endender, sich ewig wiederholender
Traum, in dem immer dieselben Worte gesprochen, dieselben Einschnitte
vorgenommen und dieselben Proben entnommen wurden, wobei sich lediglich
das Stadium der Verwesung änderte. Es gab Augenblicke, in denen
Lapslies Konzentration versagte oder er sogar kurz einschlief, so dass
er meinte, Dr. Catherall führe eine einzige lange Obduktion durch, nur
dass die Leiche auf dem Tisch jedes Mal, wenn er hinschaute, mehr und
mehr verwest war.
    Endlich gab sie ein Zeichen, den letzten Leichnam
fortzubringen, und kam langsam auf Lapslie zu. Sie sah erschöpft aus.
    Nein, dachte er, sie sah regelrecht krank aus.
    »Ich stelle fest, dass mein Körper heutzutage viel schneller
ermüdet als mein Verstand«, sagte sie, und in ihrer Stimme war die
Erschöpfung deutlich zu hören. »So viele Obduktionen im Eiltempo, das
war keine angenehme Erfahrung.«
    »›Doch muss des Menschen Geisteskraft des Körpers Herrschaft
überschreiten, wozu sonst des Himmels Weiten?‹«, meinte Lapslie.
    Dr. Catherall lächelte durch ihre Müdigkeit. »Robert Browning.
Wie hübsch.«
    »Können Sie mir irgendwas sagen?«
    »Es gibt vieles, das ich Ihnen sagen könnte, und das meiste
davon würde Sie nicht interessieren. Die entscheidenden Dinge, die Sie
wissen möchten, sind doch der ungefähre Zeitpunkt des Todes und die
wahrscheinliche Todesursache, und zu beiden dieser Probleme habe ich
leider wenig stichhaltige Informationen. Die ungefähre Todeszeit wird
bei jedem Fall um etliche Monate mehr oder weniger schwanken. Ich muss
dazu noch ein paar Berechnungen anstellen. Was ich Ihnen aber schon
sagen kann, ist, dass die Zeiträume zwischen den Todesfällen
unterschiedlich sind.«
    Er zog die Stirn kraus. »Was meinen Sie damit?«
    »Ich meine, zwischen dem jeweiligen Tod der ältesten Leichen
scheint ein zeitlicher Abstand von über einem Jahr zu liegen, bei den
jüngeren dagegen sind es nur ein paar Monate. Ihr Mörder schlägt immer
häufiger zu. Was auch immer der Grund für sein Morden war, es scheint
ihm nicht mehr die gleiche Befriedigung zu verschaffen wie früher. Er
wird schneller.«
    »Befriedigung?«, fragte Lapslie.
    Dr. Catherall blickte zu ihm auf. »Oh ja. Man ermordet nicht
zwölf Frauen im Laufe mehrerer Jahre in einem einzigen Wutanfall. Man
tut es, weil man es will. Weil es ein krankes Bedürfnis erfüllt.« Sie
blickte zurück zu den Leichen. »Die Todesursache ist in allen Fällen
nicht sofort erkennbar, obwohl ich Gewebeproben zur toxikologischen
Untersuchung geschickt habe, aus naheliegenden Gründen.«
    »Naheliegende Gründe?«, fragte Lapslie.
    Sie

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