Kaltes Gift
beäugte.
»Jasper findet es so schön, wie Sie sich um ihn kümmern.«
Daisy trug ihre Tasche zum Küchenbereich hinten in der Scheune
und legte das Hühnerfleisch auf eine Untertasse. Ein durchsichtiges
Gelee hatte sich auf den Stückchen gebildet und ließ sie braun und
glänzend aussehen. Sie blickte über die Schulter, ob Eunice auch nicht
herüberschaute, dann nahm sie eine Plastikdose aus ihrer Tasche,
öffnete den Deckel, streute einen Teelöffel grauen Pulvers obendrauf
und vermischte es mit dem Gelee. Mit einigem Glück würde Jasper
keinerlei Verdacht schöpfen.
Also ging sie wieder nach vorn und setzte die Untertasse neben
den Tresen. Der Hund trottete darauf zu und beschnüffelte sie. Er
blickte zu Daisy hoch, dann wieder auf das Futter. Wieder schnüffelte
er. Dann aber senkte er den Kopf und fraß die Fleischstücke samt Gelee
und Gift mit seinem runzligen kleinen Maul.
»Braver Hund«, lobte Daisy.
Um die Mittagszeit machte Daisy Tee. Eunice zog eine Packung
Tabletten aus ihrer Tasche, wie sie es immer um diese Zeit getan hatte,
solange Daisy schon da war, drückte eine kleine, längliche, rotblaue
Pille aus der Plastikpackung, schob sie in den Mund und spülte sie mit
einem Schluck Tee hinunter. Die Packung mit den eingeschweißten
Tabletten schien ziemlich aufgebraucht zu sein.
»Ich hoffe, Sie nehmen mir die Frage nicht übel«, meinte
Daisy, »aber sind das Vitaminpillen?«
»Leider nein«, erwiderte Eunice. »Ich glaube, das Zeug heißt
Atorvastatin. Senkt den Cholesterinspiegel. Verschreibungspflichtig,
von meinem Arzt.«
»Muss ganz schön lästig sein, dauernd in die Stadt zu müssen,
um sich neue Rezepte zu holen.«
»Ja, ich kann die verdammte Praxis nicht einfach anrufen, um
neue Tabletten zu bestellen«, sagte Eunice mit einiger Bitterkeit. »Und
ich muss das Wiederholungsrezept jeweils achtundvierzig Stunden zuvor
einreichen. Wahrscheinlich hat das alles mit diesem Arzt zu tun, der
Hunderte von seinen Patienten getötet hat. Der mit dem Bart und der
Brille. Shipwell? Shipston? Ich weiß seinen Namen nicht mehr. Egal,
aber es ist so eine Mühe.«
»Vielleicht könnte ich helfen«, sagte Daisy beiläufig, als
habe sie das nicht schon die ganze Zeit vorgehabt. »Ich komme an der
Arztpraxis und an der Apotheke vorbei, wenn ich nach Hause gehe.
Möchten Sie, dass ich Ihr Rezept einreiche und die Tabletten abhole,
wenn sie geliefert sind?«
»Das kann ich Ihnen doch nicht zumuten«, wehrte Eunice ab.
»Kein Problem. Es würde mich freuen, wenn ich irgendwie helfen
könnte.«
Eunice blickte Daisy nachdenklich an, dann wühlte sie in ihrer
Tasche herum und zog ein grünes Rezept heraus. »Die sind fast alle«,
sagte sie und tippte mit einem Stift auf die Schachtel, die neben der
Kasse lag. »Würden Sie also so lieb sein und das hier für mich
einreichen?«
»Nichts lieber als das«, sagte Daisy und meinte es ernst. Eine
weitere kleine Machtübernahme in Eunices Leben war erfolgt.
Jasper trottete ein wenig verwirrt in der Scheune herum. Er
hustete, als wolle er etwas hochwürgen, und drehte sich um sich selbst.
Daisy beschloss insgeheim, ihm bei der nächsten Fütterung die doppelte
Dosis zu verpassen. Sie wollte eine schnelle Reaktion, wenn sie es bei
Eunice anwandte, keinen langsamen, schleppenden Tod. Die hatte sie zur
Genüge erlebt. Und das Letzte, was sie wollte, war eine Eunice, die aus
dem Koma erwachte, während Daisy sie zu ihrer letzten Ruhestätte
beförderte. Das wäre nicht nur lästig, das wäre eine Katastrophe.
»Meinen Sie, er ist in Ordnung?«, fragte Eunice und musterte
Jasper besorgt. »Er sieht aus, als hätte er irgendwas Falsches
verschluckt.«
»Wahrscheinlich bloß ein Haarknäuel«, sagte Daisy leichthin.
»Morgen geht's ihm bestimmt wieder gut.«
Eunice blickte betrübt auf ihr Telefon neben der Kasse. »Es
ist so still gewesen«, meinte sie. »Schon seit einer Ewigkeit keine
Anrufe mehr. Ob ich mal jemanden kommen lasse, der sich die Leitung
ansieht?«
»Das ist doch immer mal so und mal so. Vielleicht gibt's dafür
nächste Woche eine ganze Anrufschwemme. Warten Sie's doch ab und sehen
Sie, was passiert.«
»Sie sind ein Schatz«, sagte Eunice, »ich weiß, ich werde
manchmal paranoid, aber dann sind immer Sie da und bringen mich wieder
zur Vernunft. Ich bin so froh, dass Sie hier sind.«
»Ich werde immer hier sein«, sagte Daisy und schaute nach dem
Hund, der immer noch in der Scheune herumlief, als habe er etwas
verloren. »Das hier ist mir
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