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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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auf
sie gewartet. Lange Perioden, in welchen in dem Hause nichts geschah,
führten wohl dazu, dass die Adresse aus den Listen selbst der zähesten
Versandfirmen verschwunden war. Sogar Reader's Digest schickte keine
Briefe mehr. Bloß einmal, als sie nach einigem Zögern einen
Automechaniker hatte kommen lassen müssen, um ihren Volvo wieder in
Gang zu bringen, war diese Isolation gestört worden.
    Aber jetzt … Daisy konnte sich nicht auf die
Herausforderungen konzentrieren, die vor ihr lagen. Die Möglichkeit,
ihre Gäste könnten gestört, ja sogar entfernt worden
sein, ließ sie angespannt und reizbar werden. Zweimal fauchte sie
Jasper an, als er neben ihr stand und hustete.
    Sollte sie einen weiteren Besuch riskieren? Das war die Frage.
Wenn Eunice schließlich den Aprikosenkernen erlag –
vorausgesetzt, sie wirkten ihr Wunder zuerst bei Jasper –,
dann musste Daisy die Leiche irgendwo entsorgen. Sie scheute sich vor
dem Gedanken, sie einfach in einem Steinbruch oder im Wald zu
verscharren oder sie von der Naze ins Wasser zu werfen. Das war nicht
nur ungeschickt und eine Drecksarbeit, es war auch ein Risiko. Derart
entsorgte Leichen neigten dazu, wieder aufzutauchen. Im buchstäblichen
wie im übertragenen Sinne. Tote Fische schwimmen immer oben, wie es so
schön hieß. Nein, es war weit sicherer, Tote in einem kontrollierten
Umfeld zu deponieren, wo die Gefahr, dass Vorübergehende sie
entdeckten, so gering war, dass man sie vergessen konnte. Und außerdem
hatte es Daisy immer großes Behagen bereitet, dass alle ihre Opfer, mit
Ausnahme der armen Violet, einander Gesellschaft leisteten.
    Trotz all dieser Bedenken wollte Daisy nicht das Risiko eines
neuerlichen Besuches eingehen. Zu dem Haus zu fahren, um zu sehen, ob
die Polizei es ausfindig gemacht hatte, das war, als suche man mit
einem brennenden Streichholz nach dem Leck in einer Gasleitung: Die
Entdeckung des Schlimmsten würde wahrscheinlich noch schlimmere
Konsequenzen nach sich ziehen. Nein, sie würde abwarten, bis Eunice
tatsächlich tot war, und dann eine Entscheidung treffen, je nachdem,
was in den Zeitungen stand und was ihr Instinkt ihr riet.
    »Wollen Sie vielleicht einen Spaziergang machen?«, fragte
Eunice. »Ein bisschen frische Luft schnappen? Sie sehen ein bisschen
käsig aus.«
    »Ja, das wäre schön«, antwortete Daisy. Sie war mit ihrer
Buchführung so weit gediehen, wie es möglich war. Sie hatte nicht bloß
für Eunice überschaubar gemacht, wohin all ihr Geld floss, sondern auch
dafür gesorgt, dass sie selbst über eine Liste aller Kontonummern
verfügte und wusste, wo alle relevanten Unterlagen verwahrt waren.
Diese Kenntnisse würde sie später brauchen.
    »Jasper!«, rief Eunice. »Komm, du Schlafmütze! Gassi gehen!«
    Jasper hatte sich in einen Winkel der Scheune verzogen, wo
irgendwann in der Vergangenheit mal eine karierte Decke für ihn
ausgebreitet worden war. Jetzt war sie zusammengeknüllt und zeichnete
seinen Umriss nach. Er lag darin eingekuschelt und rang mit
heraushängender Zunge hechelnd nach Luft.
    »Der sieht auch ein bisschen käsig aus«, meinte Eunice
besorgt. »Ich hoffe, er brütet nicht irgendwas aus. Er ist sehr
sensibel, wissen Sie. Eben eine Künstlernatur.«
    »Ach, das ist bestimmt nichts weiter«, beruhigte Daisy sie.
Ihr war so, als sähe sie im Maul des Hundes eine blaue Verfärbung, wenn
er nach Luft japste. Vielleicht hatte sie sich bei der Menge geriebener
Aprikosenkerne verschätzt, die nötig war, einen älteren Hund zu töten.
In dem Fall hätte sie noch genügend davon übrig, um Eunice mehrmals
hintereinander umzubringen. »Wahrscheinlich ist er einfach müde von der
dauernden Herumrennerei.« Als ob Jasper je etwas so Würdeloses täte,
als herumzurennen. »Lassen wir ihn doch einfach erst mal liegen und
sehen dann später nach ihm.«
    Gemeinsam gingen sie hinaus, zuerst den Feldweg entlang zur
Straße, wo der Bus Daisy jeden Morgen absetzte und sie am Abend wieder
mitnahm, und bogen dann in einen Fußweg ab, der sich zwischen den
Feldern dahinzog. Der Himmel war hellblau, und die wenigen kleinen
Wolken drifteten in alle Richtungen, begegneten sich im Dahinsegeln und
trennten sich wieder. Daisy roch den prickelnden Duft der Blumen, die
den Feldrand zu beiden Seiten säumten: Sie waren goldgelb, spindeldürr
und schwankten in der Brise, die die Wolken über ihnen umhertrieb.
    Eunice schritt kräftig aus und schwang beherzt ihren
Spazierstock. Daisy fand es anstrengend, mit ihr Schritt zu

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