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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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Weise auf die Brust kippte. Alles in allem,
fand Daisy, als sie Violet vom Fahrersitz aus betrachtete, sah sie
besser aus als im wirklichen Leben. Ganz bestimmt nicht wie jemand, der
vor nur zwölf Stunden eine tödliche Dosis Herbstzeitlose zu sich
genommen hatte.
    Eine halbe Stunde, nachdem sie den Kuchen gegessen
hatte – von Daisy sorgfältig mit etlichen feingeriebenen
Herbstzeitlosenwurzeln präpariert –, hatte Violet, während sie
hinten im Garten saß, eine Serie von Krampfanfällen erlitten. Daisy
hatte mit Behagen zugeschaut, wie weißer Schaum aus Violets Mund
gequollen und wie ihre Haut blau angelaufen war. Schweiß rann die
tiefen Gesichtsfalten hinab, die ihr immer so ein mürrisches Aussehen
verliehen hatten. Ihre Hände krallten sich um die Armlehnen des
Liegestuhls, vergruben die Fingernägel mit solcher Kraft darin, dass
Daisy später ein Küchenmesser brauchte, um sie herauszustemmen. Und
dann, nach einem plötzlichen heftigen Wölben des Rückens, war sie
zusammengesackt, der Kopf war vornübergesunken, und mit verschleierten
Augen hatte sie ihre letzten flachen Atemzüge getan.
    »Von all den Frauen, die ich bisher vergiftet habe«, hatte
Daisy zu ihr gesagt, »warst du die arroganteste, die unsensibelste und
die unnahbarste. Du denkst wohl, du kannst auf alle herabblicken, bloß
weil dein Vater ein großes Haus hatte und nicht für seinen
Lebensunterhalt arbeiten musste. Dabei bist du einfach nur ein
jämmerliches, irregeführtes altes Weib, das einsam und unbetrauert
stirbt. Niemand wird es erfahren, niemanden wird es kümmern, dass du
weg bist.«
    Vielleicht hatten ja ihre Augenlider geflattert. Daisy würde
es nie genau wissen, doch ihr gefiel der Gedanke, dass Violet diese
Abschiedsworte sehr wohl gehört und dass sie die unausweichliche
Wahrheit darin erkannt hatte, bevor sie starb. Sich mit Violet
anzufreunden, war eines der schwierigsten Unterfangen gewesen, die
Daisy je zu bewältigen hatte – obwohl sie sich damals Annie
nannte. Annie Moberley. Violet war hochnäsig, misstrauisch und
snobistisch gewesen, und bloß, weil Daisy – Annie –
es hasste, auf halbem Wege aufzugeben, hatte sie durchgehalten. Sie war
Violet zuerst in einem Supermarkt begegnet, wo ihr schnell auffiel,
dass Violet für eine Person einkaufte und dass sie nicht die billigsten
Fleischsorten wählte oder die ›Sonderangebote‹, die sich Rentner nach
Daisys Erfahrung gewöhnlich aussuchten. Als sie sich das dritte oder
vierte Mal begegnet waren, plauderten sie miteinander, und bald kam sie
mal auf einen Kaffee vorbei. Und wenig später holte sie Violets
entzündungshemmende Medikamente beim Arzt ab.
    Violet war eine vertrackte Mischung gewesen. Einerseits sehnte
sie sich verzweifelt nach menschlichem Kontakt, zugleich aber maßte sie
sich an, auf jeden herabzublicken, mit dem sie zusammen war. Für Annie,
die automatisch auf alle ihre Opfer herabblickte, gehörten die
folgenden paar Monate zu den mühsamsten, an die sie sich erinnern
konnte, diese Zeit, in der sie mit Violet um die Vorherrschaft gekämpft
hatte, ohne dass Violet überhaupt realisierte, dass ein Kampf stattfand.
    Während der Stunden, die Annie damit verbrachte, Violets
Leiche durch den frühen Morgen zu fahren, verlor sie sich in Tagträume
über die nächsten Monate; wie sie nach und nach alle wertvollen Dinge
fortschaffen würde, die sich im Haus befanden, wie sie Violets Konto
bei der Bausparkasse bis auf den Grund plündern würde. Und nach kleinen
Andeutungen zu urteilen, die Violet gelegentlich entschlüpft waren, war
das anscheinend ziemlich gut gefüllt. Sie würde Violets Identität
übernehmen, so wie man einen alten Mantel überzieht, würde ihre
derzeitige Identität abschütteln und in der Vergangenheit verblassen
lassen. Und dann, wenn sie es satthatte, dann würde sie weitermachen,
nach einem neuen Opfer Ausschau halten. Obwohl, vielleicht das nächste
Mal lieber nach einem weniger hochmütigen. Schon eine ganze Weile hatte
Annie nämlich gefunden, dass Violet sie mehr wie eine ehrenamtliche
Gesellschafterin behandelte als wie eine Freundin, und gegen Ende sogar
wie eine unbezahlte Dienerin statt wie eine Gesellschafterin.
    Der Wagen glitt durch Wälder und an Industrieanlagen vorüber,
während die Dunkelheit dem Tageslicht wich. Wie lange schon, war ihr
kaum bewusst, dann jedoch merkte sie, dass sie sich ihrem Ziel näherte:
jenem Ort, wo all ihre Freundinnen gelegentlich zu Besuch kamen und nie
wieder gingen.
    Ein

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