Kaltes Gift
apathisch
und fade. Kleine Windstöße verfingen sich in Ladeneingängen und
wirbelten Staubspiralen auf, die aussahen wie unsichtbare, miteinander
kämpfende Tiere. Und das war auch schon das Aufregendste an der ganzen
Szene.
Emma sprach im Gehen aufgeregt in ihr Handy. Lapslie hörte
gelegentlich ein markiges Wort oder einen unterdrückten Fluch. Endlich
klappte sie es zu und wandte sich an Lapslie. »Das mit dem bewaffneten
Team wird nichts«, verkündete sie mit finsterem Gesicht. »Angeblich
nicht verfügbar. Irgend so ein Anti-Terror-Einsatz in Dagenham. Die
Zentrale meint, es könnte einen Tag oder länger dauern, bis sie frei
sind, und auch dann besteht keine Garantie, dass wir eins kriegen
können. Wollen Sie warten?«
Lapslie schüttelte den Kopf. »Ist Ihnen aufgefallen«, fragte
er, »dass wir im Verlauf dieses Falles bei jedem einzelnen Schritt um
Unterstützung kämpfen mussten? DCS Rouse hat versucht, Sie von dem Fall
abzuziehen, die Polizisten am Tatort wurden abkommandiert, ausgerechnet
zu irgendeinem Fußballspiel, irgendjemand hat sich an den
Autopsieberichten zu schaffen gemacht, und jeder meiner Anträge auf
Verstärkung der Einsatzkräfte wird abgebügelt. Da ist im Hintergrund
was im Gange, von dem ich nichts wissen soll, und das gefällt mir
nicht.« Er furchte die Stirn. »Nein, ich fahre jetzt zu dieser Adresse,
und ich tue es auch ohne bewaffnete Unterstützung. Ich befehle Ihnen
nicht, mitzukommen, aber ich könnte Ihre Gesellschaft schon gebrauchen.«
Sie nickte. »Ich bin dabei.«
Bradbury wollte noch etwas sagen, als ihr Handy klingelte. Sie
wandte sich ab, um den Anruf anzunehmen, und Lapslie nutzte die
Gelegenheit, um von seinem eigenen Handy aus DCS Rouse anzurufen.
Rouses Sekretärin meldete sich, und Lapslie sagte: »Hier DCI Lapslie.
Ich muss dringend den Chef sprechen.«
»Der ist … in einer Sitzung«, antwortete die
Sekretärin nach kaum merklichem Zögern, doch ihre Stimme war getönt von
trockenem Gewürz. Sie log. Lapslie hatte plötzlich die Vorstellung,
dass Mr. Geherty vom Justizministerium sich über sie beugte und
lauschte. Ohne ein weiteres Wort beendete er das Gespräch.
»Ich hab die Adresse durch die Zentrale überprüfen lassen«,
sagte Bradbury, als sie ihr Handy zuklappte. »Als Eigentümerin ist eine
Rhona McIntyre eingetragen. Keine sonstigen Eintragungen über
irgendwelche Vorkommnisse in Verbindung mit dieser Adresse, und auch
sonst geben die Datenbanken nichts her – die Steuer wird jedes
Jahr gezahlt, keine Hypotheken-Außenstände. Ich hab im Büro jemanden
beauftragt, sich um einen Durchsuchungsbefehl zu bemühen,
aber …«, sie zuckte die Achseln, »… ich hab irgendwie
das Gefühl, es wird da eine unerwartete Verzögerung geben.«
»Gerade lange genug, dass jemand uns dort zuvorkommen kann«,
knurrte Lapslie. »Okay – also los. Wir sind ja schon halbwegs
da. Und wenn wir den Eindruck haben, dort wird gerade ein Verbrechen
begangen, dann können wir ja auch ohne Durchsuchungsbefehl reingehen
und die Sache später erklären.«
Schweigend fuhren sie los. Lapslie war froh, Colchester hinter
sich zu lassen. Gewiss gab es dort wundervolle historische und
pittoreske Stadtviertel zu bewundern, aber diese Straße da hatte etwas
an sich, das ihn an einen verprügelten Hund denken ließ, zu erschöpft
zum Kämpfen, der sich nur noch ans Existieren klammerte.
Sie nahmen eine andere Strecke stadtauswärts, passierten einen
Kreisverkehr nach dem anderen und einen modernistischen Bahnhof aus
Glas und Metall. Das war das Problem bei der Architektur heutzutage,
dachte Lapslie beim Fahren: Alles war in Teilstücken entworfen, die man
zu verschiedenen Gestaltungen zusammensetzen konnte. Es gab keinen
Gesamtzusammenhang mehr, keine klare Einheit, keine Struktur. Lediglich
diverse aneinandergefügte Versatzstücke, alle einander ähnlich.
Die Fahrt zu dem Bauernhaus dauerte knapp eine Stunde, und
Lapslie bemerkte beim Fahren, dass eine ganze Reihe Straßenschilder zu
dem Wald zurückwiesen, in dem Violet Chambers' Leiche entdeckt worden
war. Je nachdem, woher man kam, bot sich diese Route durch den Wald als
die günstigste an, wenn man zu diesem Haus wollte. So wie seiner
Vermutung nach der Mörder.
Soweit Lapslie es sagen konnte, gab es zwei Möglichkeiten. Die
erste war, dass der Mörder dort wohnte und aus irgendeinem Grund mit
der Leiche dort hinwollte. Die andere war, dass der Mörder dort zwar
nicht wohnhaft war, aber dennoch die Leiche dort
Weitere Kostenlose Bücher