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Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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anderen Seite war der Teppich aufgerollt, und die nackten Dielenbretter, die aussahen, als seien sie vor kurzem erst feucht geworden und müssten noch trocknen, lagen frei. Da die Bretter alt waren, klafften große Lücken zwischen ihnen. Cooper spürte einen eisigen Lufthauch, als stünde er vor der offenen Tür eines mannshohen Tiefkühlschranks. Auf der Fensterbank stand eine Flasche Milch, daneben lagen ein ungeschnittener Laib Brot und ein Metallbesteck, und neben einem alten Lehnsessel stapelten sich mehrere Wochen alte Zeitungen unter einer Stehlampe. Auf dem Ölgemälde an der Wand war eine Herde brauner Kühe vor einer düsteren Winterlandschaft zu sehen. Die Berge hinter den Kühen sahen eher nach der Schweiz als nach Derbyshire aus. Richtige Gipfel.
    »Dass sich noch jemand an den Absturz der Lancaster erinnert …«, meinte Malkin. »Das ist schon so lange her.«
    »Siebenundfünfzig Jahre«, sagte Cooper und suchte ein Stück Teppich, auf das er sich stellen konnte.
    »Ich war damals erst acht.«
    »Aber Sie haben es nicht vergessen, stimmt’s?«
    »Nein. Natürlich nicht. Das Ganze hat mich tief beeindruckt. Das ist so in dem Alter. Jetzt kann ich mich manchmal nicht einmal mehr erinnern, was ich vor fünf Minuten gemacht habe, aber an den Flugzeugabsturz erinnere ich mich noch so gut, als wäre es erst gestern passiert.«
    »So alt sind Sie doch noch nicht«, sagte Cooper. »Fünfundsechzig? Das ist doch heute kein Alter. Man geht in Rente, das ist alles.«
    »Rente? Ich musste schon vor ein paar Jahren in Rente gehen. Heutzutage ist man schon lange vor fünfundsechzig nutzlos.«
    Auf dem Kaminsims stand allerhand Krimskrams herum, und auf einem Holzgestell, das einmal ein viktorianisches Blumentischchen gewesen sein mochte, befand sich ein Fernseher. In einer Ecke hingen die losen Drähte einer herausgerissenen Steckdose aus der Scheuerleiste.
    »Sie waren Landwirt, stimmt’s?«, fragte Cooper.
    Malkin lachte. Er hatte ein rasselndes Lachen, bei dem man deutlich hören konnte, wie der Schleim in seiner Kehle aufstieg. »Landarbeiter. Lohnarbeit, mehr nicht. Ich war Schäfer, und zwar ein guter. Aber es spielt keine Rolle, wie gut man seine Arbeit macht, wenn’s darum geht, Kosten einzusparen. Die Lohnarbeit muss als Erstes dran glauben. Fünfundsechzig? Kann sein. Aber es ist egal, wie viele Jahre man auf dem Buckel hat. Was einen jung hält, ist eine Arbeit, die wichtig ist. Wenn man zu nichts mehr nütze ist, kann man auch gleich den Löffel abgeben.«
    Malkins Körperfülle und die Wölbung seines Bauches wurden von dem selbst gestrickten grünen Pullover, der bereits bei seiner Entstehung eine Nummer zu klein gewesen sein musste, noch betont. Natürlich waren die Bauern heutzutage körperlich nicht mehr so gefordert wie früher. Sie konnten ganze Tage in den beheizten Kabinen ihrer Traktoren oder Mähdrescher verbringen, drückten Knöpfe an ihren Futtermischern und füllten stapelweise Papierkram aus – letztendlich nicht viel anders als die Polizisten. Der moderne Bauer warf keine Heuballen mehr durch die Gegend und schleppte auch keine verirrten Schafe auf dem Rücken nach Hause, ebenso wenig wie man von einem Polizisten noch erwartete, dass er zu Fuß Streife ging oder hinter einem Verdächtigen herrannte. Moderne Methoden führten auch dazu, dass die Menschen anders aussahen – die Figur passte sich an gepolsterte Stühle und Bildschirmarbeitsplätze an.
    »Mich würde interessieren, ob Sie irgendwelche Erinnerungsstücke an den Absturz aufbewahrt haben«, sagte Cooper.
    »Erinnerungsstücke?«
    »Vielleicht vom Flugzeug selbst.«
    »Ted und ich haben ein paar kleine Teile mitgenommen. Aber heute ist nicht mehr viel davon da.«
    »Ted ist Ihr Bruder, nicht wahr?«
    »Ja. Er war vier Jahre älter als ich. Ich bin ihm überallhin nachgelaufen, wie ein kleiner Hund. Wie Kinder eben so sind. Ich muss ihm damals ziemlich auf den Wecker gefallen sein.«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Schon lange tot«, antwortete Malkin.
    In der Nähe des Kamins hing Wäsche zum Trocknen über einem hölzernen Kleiderständer. Vermutlich gab es im ganzen Haus keinen Trockner, und die Wäschestücke, die man draußen auf die Leine hängte, wurden steif wie ein Stück Karton.
    »Ich hole die Kiste«, sagte Malkin. »Bleiben Sie am Kamin und wärmen sich auf.«
    »Danke.«
    Cooper wartete und betrachtete besorgt die Wäsche, die in seinen Augen ein bisschen zu nahe am Feuer hing. Kleine Dampfkringel und ein warmer,

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