Kaltes Herz
Antwort auf Regenmachers Lippen zusammenbraute wie giftiger Schaum. Noch nie hatte er mit solcher Deutlichkeit Regenmachers Lippen wahrgenommen. Er sah aus wie eine Eidechse, und Heinrich schauderte. Er wollte nicht hören, was dieser widerwärtige Mann zu sagen hatte. Jemand musste ihn stoppen. Heinrich hatte sich vom Sofa auf den Boden bewegt, schon stand er, schon hatte er seine Hand ausgestreckt, spürte den silbernen Griff des Tortenhebers, der auf der Anrichte lag, kühl in der Hand. Wut fühlte er nicht, nur die Notwendigkeit zu tun, was zu tun war. Heinrichs Hand traf auf Fleisch, Johanne schrie, Regenmacher hatte sich ihm entgegengeworfen, der Tortenheber traf ihn unter dem linken Arm, schnitt sich in seine Seite, und Heinrich entglitt der Griff.
Regenmacher stöhnte. Müsste er jetzt nicht sterbend am Boden liegen, mit dem kalten Metall im Herzen?
Stattdessen ließ Regenmacher sich auf einen Stuhl sinken, schwer atmend zwar, aber unzweifelhaft am Leben. Heinrich stand da und schaute ihn an, unfähig zu begreifen, was er sah. Es war doch jetzt vorbei. Es
sollte
vorbei sein.
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26
A ber das kann doch nicht alles gewesen sein, meine Herren», sagte Frau Liese, und sie klang ärgerlich. «Schließlich geht es hier um die große Liebe. Da gibt man nicht auf.»
Sie saßen in Professor Altheims mittlerweile aufgeräumter Küche und aßen, nachdem Charlie ein paar Stunden geschlafen hatte, ein spätes Abendbrot.
Charlie seufzte. «Nein, kann es nicht», sagte er schließlich. «Willem, wann hat Frau Keller zuletzt einen Brief eingesteckt?»
Willem zuckte die Achseln. «Na, vorhin. Sie bringt jeden Tag einen weg. Weiß nicht, was das bringen soll, wenn die doch alle verbrannt werden.»
«Das wusste sie ja bis gestern nicht», sagte Altheim zu dem Jungen. «Und vielleicht ist der von heute auch gar nicht an Henriette, sondern an Frau Pflog. Davon würde ich sogar ausgehen.»
«Wann wird der Postbriefkasten das nächste Mal gelehrt?», wollte Charlie wissen. Er stand auf und begann, unruhig in der Küche auf und ab zu gehen.
«Alle zwei Tage morgens früh um sechs. Also … morgen früh.»
«Dann ist der Brief von heute noch drin.»
«Ja», sagte Willem gedehnt. «Aber wir kommen ja nicht ran.»
Der Postbriefkasten. Das unüberwindliche Hindernis … Am liebsten wäre Charlie hinausgerannt und hätte auf dem Weg die Bücher- und Notenstapel, die überall herumlagen, mit den Füßen weggetreten, hätte auf dem Papier herumgestampft und geschrien wie ein Urwaldtier.
«Wenn ich an den Brief käme», sagte er gepresst, «dann würde ich sofort hinfahren. Ich weiß, dass sie auf mich wartet. Ich spüre es ganz einfach.»
Willem ließ den Kopf hängen, und auch Frau Liese und Professor Altheim schwiegen. Und plötzlich wusste er, wie er an den Brief herankommen würde. Er hob den Kopf und sagte fest:
«Wir werden den Postbriefkasten abtransportieren.»
Willems Augen wurden größer denn je, aber er wirkte eher beeindruckt als ängstlich. «Wenn wir dabei erwischt werden, dann gehen wir alle ins Gefängnis!», sagte er.
Charlie wandte sich an Altheim. «Können Sie mir eine Sackkarre und einen Handwagen mit Plane besorgen?»
Altheim nickte. «Die Kohlenhandlung im Hinterhof dürfte mit solchen Dingen reichlich ausgestattet sein.»
«Eine Metallsäge, Brecheisen, Schaufeln», Charlie zählte die Dinge, die er möglicherweise brauchen würde, an den Fingern ab. «Es könnte doch knapp werden mit der Zeit, oder?»
Willem nickte nachdrücklich. «Ziemlich knapp.»
«Ich gehe gleich hinunter und sehe, was ich besorgen kann», sagte Altheim.
«Wie ist die Straßenbeleuchtung dort, Willem?»
«Viel zu gut, man kann meterweit gucken.»
«Gas oder elektrisches Licht?»
«Elektrisch.»
«Gut. Kannst du gut werfen?»
Der Junge nickte.
«Dann darfst du mitmachen. Du läufst vor, nimmst dir ein paar Eierkohlen mit. Mit denen wirfst du die Laternen links und rechts des Postbriefkastens aus.»
Willem nickte eifrig und Charlie hoffte, dass das Ergebnis die Vorfreude des Jungen rechtfertigen würde.
«Na, das nenne ich einen Plan», sagte Frau Liese gut gelaunt. Sie stand auf und holte eine Flasche Obstler und Gläser aus dem Küchenschrank – offenbar hatte sie sich Altheims Küche innerhalb eines Nachmittags Untertan gemacht – und schenkte ein.
Charlie schluckte die scharfe Flüssigkeit wie eine Medizin und schüttelte sich.
«Kann es losgehen?», fragte er.
Professor Altheim und
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