Kaltes Herz
Versuchers. Du bist verführt worden, Heinrich.»
Heinrich hätte gelacht, wenn er gekonnt hätte. Er hatte recht, er war einer Versuchung erlegen. Und dennoch war dieser Mann lächerlich.
Johanne hatte für ihn geantwortet.
«Heinrich wagt es nicht, sie zu zerstören. Er weiß nicht, welche Energien dadurch entfesselt werden könnten.»
«Und ich sage, wir reißen sie nieder! Morgen!» Der Pfarrer war aufgestanden, etwas unsicher auf den Beinen, aber entschlossen. «Ich gehe jetzt. Aber ich komme wieder. Mit den stärksten Männern der Gemeinde.»
Heinrich hatte genickt. Sollten sie kommen. Sollten sie es versuchen. Es bedeutete ihm nichts mehr. Der Pfarrer hatte noch einmal sein Beileid ausgesprochen und war, begleitet von Johanne, hinausgewankt.
Eine Nacht war vergangen, bisher waren keine Männer gekommen, aber es war auch noch früh am Morgen. Nur seine Frau und seine Töchter waren schweigend hereingekommen, hatten schweigend gefrühstückt, hatten ihn mit vorsichtigen Seitenblicken bedacht, schweigend abgeräumt und waren wieder verschwunden. Sie hielten ihn für das Monster, das ihre Schwester auf dem Gewissen hatte, besonders Maria. Natürlich hatten sie recht.
Er hörte, wie sie das Haus aufräumten, Scherben zusammenkehrten, Möbel herumtrugen, Schäden beseitigten. Reden oder lachen hörte er sie nicht. Nur die Maschine war immer zu hören. Sie war das Einzige, was noch lebendig war in diesem Haus.
Als Johanne das nächste Mal kam, war sie nicht allein. Noch in ihren Mänteln, die Handschuhe von den Fingern zupfend und den Regen von den Hüten schüttelnd, stand plötzlich Besuch in der guten Stube. Regenmacher und eine Frau, die Heinrich vage bekannt vorkam. Vor vielen Jahren war er ihr begegnet, sie war füllig geworden und nicht mehr ganz jung, und sie trug schwarz. Keine starken Männer also, um sein Teufelswerk zu zerstören.
«Kennst du Ada noch, Heinrich? Meine Schwester.»
Ada kam auf ihn zu, streckte ihm eine Hand entgegen, und Heinrich packte sie mit seiner Klauenhand, drückte fest zu. Er konnte den verängstigten Ausdruck in ihrem Gesicht sehen, einen Moment lang genoss er seine Macht. Wenn er jetzt noch den Schleier über seinem Gesicht abschüttelte und ein wenig grunzte und greinte, würde er sie vermutlich zum Schreien bringen können. Doch der Gedanke verblasste, bevor er zu einer Handlung führte. Das Morphium machte ihn müde, und fast ganz fremde Leute zu erschrecken war nicht wichtig.
«Felix und Ada sind gekommen, um etwas mit mir zu besprechen.»
Johanne klang beunruhigt.
«Im Grunde ist es ganz gut, wenn Heinrich dabei ist», sagte Regenmacher.
Heinrich wurde so wachsam, wie das Morphium es zuließ. Die Augen halb geschlossen, lag er da, den Kopf entspannt zurückgelegt, und wartete auf mehr. Er hatte nicht zum ersten Mal das Gefühl, dass sein alter Freund eine geheime Agenda verfolgte, dass hinter seinem Rücken etwas vorging. Es gefiel ihm nicht, und er nahm sich vor, wach zu bleiben. Regenmacher zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Heinrich.
«Ich weiß, was mit Ida geschehen ist, Heinrich. Es tut mir entsetzlich leid. Ich werde mit Johanne noch darüber reden, wie ich euch in diesen schlimmen Zeiten am besten beistehen kann. Gekommen sind ihre Schwester und ich heute aber aus einem anderen Grund. Ich werde euch von dem neuen Mädchen befreien, das eine solche Last für Johanne ist. Ich habe vor, Henriette zu heiraten.»
Ada Keller hatte sich zu einem der Fenster zurückgezogen, sie blickte auf die Straße, die am Haus vorbeiführte, aber Heinrich spürte, wie sich ihre gesamte Aufmerksamkeit auf den Raum hinter ihr richtete. Auch sie schien auf etwas zu lauern.
Johanne schloss die Augen und atmete langsam ein und wieder aus.
«Du kannst das Mädchen nicht abholen, Felix», sagte sie.
Ein Lächeln huschte über Ada Kellers Gesicht, und dann setzte auch sie sich auf einen der unbequemen Biedermeierstühle.
«Ich bin froh, dass du das so siehst, Johanne», sagte sie.
«Wieso geht es nicht?», fragte Regenmacher mit äußerster Ruhe.
«Weil sie nicht hier ist», sagte Johanne schlicht. Nach einigen Sekunden erwartungsvollen Schweigens fügte sie hinzu: «Sie ist fortgelaufen.»
«Johanne!»
Ada Keller stand halb auf, doch ihre Beine gaben nach, und sie fiel auf den Stuhl zurück.
«Kurz nachdem Ida … Sie muss sich mitten in der Nacht hinuntergeschlichen haben. Am Morgen ist es geschehen. Sie ist …»
Johanne sprach nicht weiter.
Nur
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