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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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Wasser im Kanal sah schwer und träge aus wie flüssiges Metall. Erst Viertel vor acht. Sie wird kommen.
    Er war rasiert, das Wetter war kühl, aber beständig, und das Stadtschloss hinter ihm trat romantisch aus dem Dunst hervor. Charlie stieß den Atem aus und schlug ins Nichts wie ein Preisboxer vor dem Kampf. Er war bereit für das Mädchen mit den schwärzesten Augen und den Grübchen auf den Wangen, war bereit, ihr zu zeigen, wo es langging, und … wenn sie nicht kam? Wenn der Freitag für sie doch zu katastrophal verlaufen war?
    Dann würde er über das gusseiserne Geländer in den Kanal springen. Sich vor eine fahrende Bahn werfen und sich zu Mus zermalmen lassen. Oder einfach wieder auf der Straße leben.
    Nur ruhig. Sie
wird
kommen. Wenn er Glück hatte, griff sie dann statt nach seinem Arm nach seiner Hand, und dann hätten sie eine ganze Stunde Zeit, würden über die kleine Brücke und am Kanal entlangschlendern, nach links, nach rechts, Friedrichstraße, und vielleicht nahmen sie im
Café Bauer
noch einen Morgenkaffee, bevor er Hetti vor der Tür von Professor Altheim verließ. Vielleicht würde er ein wenig unter dem Fenster stehen bleiben, vielleicht würde Altheim es öffnen, und er konnte Hetti die Tonleitern rauf- und runterklettern hören, mit denen sie ihre Stimme aufwärmte und dehnte. Kurz vor acht … Endlich! Das waren ihre Schritte, nicht schnell, aber fest, und Sekunden später erschien ihre Gestalt im Nebel, so schmal, und warf im Gegenlicht der frühen Sonne Schattenbahnen, die vom Kopf bis in den Himmel und von den Händen bis in die Erde strahlten. Hettis Eleganz war natürlich, ihre Haltung, die Art, sich zugleich gemessen und ungezwungen zu bewegen. Charlie meinte, alles, was sie ausmachte, in ihren Bewegungen zu erkennen, ihre Aufmerksamkeit, wie sie nachdachte, bevor sie antwortete, ihr Mitgefühl, ihre Unschuld, ihr starker Wille … alles an ihr lud zur Bewunderung ein.
    «Guten Morgen», sagte sie.
    Aber was sie wirklich zu einem magischen Wesen machte, war ihre Stimme. Diese zwei einfachen Worte zwangen Charlie zu der jähen Erkenntnis, dass er erst durch ihre Stimme wirklich zum Menschen wurde. Hatte sie ihn nicht zurück ins Leben gesungen an jenem ersten Abend im
Wintergarten
?
    Und jetzt stand sie vor ihm, in einem dunkelblauen Kostüm mit weißem Kragen und weißen Handschuhen und einem mädchenhaft kurzen Rock, der ihre Schnürstiefel sehen ließ. Und doch war da etwas an ihr, das sie älter erscheinen ließ, eine Tiefe, die er sich nicht erklären konnte. Ihre Locken waren im Nacken zu einem weichen Knoten geschlungen.
    «Guten Morgen, Hetti», sagte Charlie und bot ihr den Arm.
    Sie duftete nach Seife und Nebel und nach den weißen Rosen an ihrem Hut.
    Sie lächelte nicht, die Grübchen auf ihren Wangen blieben verborgen, und sie nahm weder den Arm noch seine Hand.
    Eine Weile liefen sie schweigend. Wenn sie ihn sonst angesehen hatte, dann war es, als ginge eine Art Energie von ihr aus, ein Licht, und er wollte in diesem Licht sein. Doch heute war da kein Licht, und obwohl Charlie ihr körperlich nahe war, fühlte er sich plötzlich einsam neben ihr. Sie war ernst, reserviert, und er konnte es ihr nicht verdenken.
    «Hetti, hat sich etwas verändert zwischen Ihnen und mir?»
    Charlie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. So fragte kein Mann, der wusste, wie man ein Mädchen überzeugte.
    Sie antwortete nicht, und als Charlie sie von der Seite her anblickte, sah er, dass ihre Augen von einem silbrigen Glanz überzogen waren. Weinte sie?
    «Was ist mit Ihnen?»
    Hetti blieb stehen, sah ihn an, und Charlie erkannte, dass der Silberglanz in ihren Augen nicht von Tränen herrührte, sondern von Zorn.
    «Charlie, lieben Sie mich?»
    «Ja, ich liebe Sie», sagte er fest und ohne Zögern, und er meinte es so.
    «Aber ich frage mich, was ist das für eine merkwürdige Liebe, die Sie mir entgegenbringen? Es ist ein Drängen, eine Not darin und dabei so viel Versteckspiel und Unwahrheit.»
    Wie recht Frau Liese hatte. Welche Frau wollte schon einen Mann in Not, geschweige denn einen Lügner, und dass es Notlügen gewesen waren, dass er nicht von Anfang an ehrlich gewesen war, machte die Sache nur schlimmer. Aber wäre er ehrlich gewesen, hätte er sie niemals wiedergesehen. Sosehr Charlie auch darüber nachdachte, sosehr er das ganze Wochenende schon darüber gebrütet hatte, es gab keinen Ausweg aus dieser Situation.
    «Sie sind mir noch immer eine Antwort schuldig»,

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