Kaltes Herz
wie sie waren, auf eine Bühne stellen und Wäsche falten lassen, sie hatten so viel Anmut, dass ihr Anblick ebenso faszinierend war wie der einer Tänzerin.
Als die Mädchen Ida und Henriette bemerkten, falteten sie zunächst gewissenhaft ihr Tuch zusammen, bevor sie herüberkamen und Henriette begrüßten. Sie wirkten scheu und machten damit auch Henriette befangen. Als sie nach einem kleinen Rundgang, in dem Ida Henriette die Arbeitsschritte erklärte, die Stiege wieder hinabkletterten, waren die Mädchen schon wieder in ihre Arbeit vertieft.
«Pass auf, die sind Mutters Lieblinge», raunte ihr Ida auf dem Weg nach unten zu. «Ich meine, lass dich bei nichts erwischen, die verraten dich, ohne mit der Wimper zu zucken.»
Henriette nickte, obwohl sie keine Idee hatte, bei welchen verbotenen Tätigkeiten sie sich wohl erwischen lassen könnte, und sie waren kaum unten angekommen, als die Zwillinge schon hinter ihnen die Treppe heruntergerannt kamen.
«Hey, auf den Treppen wird nicht gerannt», mahnte Ida. Und dann mit einem Augenzwinkern zu Henriette: «Oder soll ich es Mutter sagen?»
«Ach, halt doch den Mund!», zischte eines der Zwillingsmädchen, Henriette wusste nicht, ob es Ernestine oder Hulda war.
«Es regnet!», setzte das andere Mädchen hinterher.
«Oh nein!», sagte Ida, und dann rannte auch sie.
Der Wind riss an der Wäsche auf den Leinen, und der Regen klebte Henriette und den anderen Mädchen die nassen Tücher ins Gesicht.
«Schneller!», trieb Katharina sie an, während sie mit dem Wind um die Wäsche kämpften.
Jetzt kam auch Tante Johanne in den Hof gerannt und packte mit an.
Ida drückte Henriette einen vollen Wäschekorb in die Arme.
«Dorthin! In die Remise!»
Henriette lief über die rutschigen Steinplatten, rüttelte an den Türen, bis sie eine offen fand, und stellte den Korb ins Trockene. Hinter ihr kamen Maria und Hulda mit weiteren Körben, und Henriette rannte wieder hinaus in den immer stärker prasselnden Regen.
Sie löste Wäscheklammern, wusste nicht, wohin mit ihnen, weil sie keine Schürze trug, behielt die Klammern in der Hand und zog mit der anderen ein großes Laken von der Leine. Sie presste es mit einem Arm an ihren Körper, aber eine Böe riss es ihr weg und trieb es vor ihr her. Henriette lief mit einem Aufschrei hinterher.
«Lass! Ist zu spät!», rief Ida, und dann blieb das Laken an einem Hindernis hängen, ein Hindernis mit menschlichen Umrissen. Arme kamen zum Vorschein, ein Kopf mit einer Mütze darauf, ein blasses Gesicht mit wenig Kinn und viel Nase.
Der junge Mann wühlte das Laken zu einem Knäuel zusammen, kam auf Henriette zu und gab es ihr. Es war klatschnass und dreckig, und Henriette spürte, wie sie rot wurde, weil es ihre Schuld war.
«Sie wollten mich wohl einfangen?»
Der junge Mann grinste.
Henriette schüttelte irritiert den Kopf.
«Entschuldigung, nein, ich …»
«Du! Lass die mal schön in Ruhe, sie ist neu hier, ja?»
Ida drohte mit dem Finger, und der junge Mann grinste noch breiter, bevor er eine tiefe Verbeugung vor Henriette machte, ihre Hand ergriff und einen Kuss daraufdrückte.
«Ich darf mich vorstellen, Graf von Heinz.»
«Du!», sagte Ida wieder, und wandte sich dann an Henriette.
«Das ist Heinz Graf. Er kommt zweimal am Tag, bringt die Schmutzwäsche und holt die sauberen Sachen ab.»
«Ja, ich bin den ganzen Tag auf Achse. Mit meinem eigenen Automobil, wie ich hinzufügen darf», sagte Heinz Graf vornehm durch die lange Nase. «Vielleicht darf ich die junge Schönheit einmal auf eine Ausfahrt einladen und ihr meinen ganzen Stolz vorführen?»
«Heinz, hör auf! Sie kommt aus Berlin, da gibt es Tausende von den Dingern. Du beeindruckst sie also überhaupt nicht. Und jetzt hilf uns lieber!»
Ida scheuchte Heinz über den Hof, und tatsächlich half er, die letzten, rettungslos nassen Laken von den Leinen zu holen und in die Remise zu bringen, wo die anderen Mädchen bereits damit beschäftigt waren, sie auf die Leinen zu hängen, die zwischen den Wänden gespannt waren.
«Ihr hättet sie gleich reinhängen sollen, bei dem Wetter», schimpfte Tante Johanne mit einer Wäscheklammer zwischen den Zähnen. Dann warf sie die Klammer ärgerlich auf den Boden.
«Guckt euch das doch an! Schlamm und Dreck! Da, und hier auch.»
Sie ging durch die Reihen, griff in die Körbe und zog nasse Wäsche hervor. Dann blieb sie stehen, seufzte.
«Wir machen eine Spätschicht heute. Noch mal waschen.»
Die Mädchen nickten,
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