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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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nur Maria, die Kleinste, fing an zu weinen. Katharina legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern.
    «Schhhhh, sieh mal, wir haben doch jetzt Henriette bei uns. Sie wird uns helfen und uns bei der Arbeit etwas aus Berlin erzählen. Dann geht die Zeit schneller rum, ja?»
    Maria schniefte und nickte.
    «Maria geht früh schlafen, sie muss in die Schule», sagte Tante Johanne. «Und Henriette können wir nicht gebrauchen, die kennt sich mit den Maschinen nicht aus. Wir sind schneller ohne sie.»
    Tante Johanne sah Henriette nicht an bei diesen Worten, sie sprach über sie, als sei sie gar nicht hier, und Henriette traute sich nicht zu widersprechen, obwohl sie gerne geholfen hätte.
    Schweigend trugen Johanne und die Mädchen die Körbe durch den strömenden Regen hinüber in die Waschküche, während Henriette in der Remise stehen blieb und nicht wusste, was sie tun sollte.
    Plötzlich fühlte sich ihr Kopf wie mit Watte gefüllt an, und ihr Hals und jetzt auch die Ohren schmerzten noch schlimmer als zuvor. Am liebsten wäre sie einfach hinaufgegangen, um die nassen Sachen auszuziehen und schlafen zu gehen. Einfach nur schlafen.
    «Sie haben mir noch gar nicht gesagt, wie Sie heißen.»
    Henriette zuckte zusammen. Den Wäschefahrer hatte sie vollkommen vergessen. Er streckte ihr eine Hand entgegen.
    «Entschuldigung. Henriette Keller. Ich bin eine Cousine.»
    «Und, darf ich Sie einmal mit dem Automobil herumfahren, Cousine?»
    «Ich weiß nicht», gab Henriette unbestimmt zurück. «Ich denke, ich werde mich hier erst einmal ein wenig einleben.»
    Heinz Graf zuckte mit den Schultern.
    «Na schön, tun Sie das. Aber sagen Sie Bescheid. Sie verpassen was.»
    Henriette sagte ihm nicht, dass sie wusste, wie sich eine Automobilfahrt anfühlte, und sie sagte ihm auch nicht, dass ihr schlecht dabei wurde.
    «Bitte entschuldigen Sie mich, ich muss jetzt hinein», sagte sie stattdessen.
    «Wiedersehen, Cousine», sagte der Fahrer und zwinkerte ihr zu.
    Dann lief er hinüber zu seinem Automobil, das im Schutz der überdachten Einfahrt stand, ein Wagen, schwarz, mit einem Fahrersitz im Freien unter einem ausladenden Vordach und einem geschlossenen Kasten hinten.
    Nachdem Heinz Graf den Motor angekurbelt hatte, erwachte der Wagen zum Leben, der junge Mann kletterte auf den Fahrersitz, dann sauste das Automobil mit Schwung über den Hof und durch das offenstehende Scheunentor mitten in die Waschküche hinein.
    Henriette hörte die Pflog-Mädchen aufschreien. Heinz Graf ließ den Motor laufen, öffnete die hinteren Türen des Wagens und stapelte die großen, oben zugebundenen Körbe, die die Mädchen ihm heranschleppten, in den Laderaum. Tante Johanne ließ sich den Empfang der Lieferung quittieren, dann setzte Heinz Graf mit Schwung zurück, wendete in einem weiten Bogen, und verschwand in der Einfahrt, die das Rattern und Knattern des Motors vielfach in den Hof zurückwarf, bevor der Wagen auf der anderen Seite herauskam und sich der Lärm langsam in der Ferne verlor.
    Henriette lauschte, bis sie den Wagen nicht mehr hören konnte, bis nur noch das Beben unter ihren Füßen zu spüren und der Regen auf dem Dach der Remise zu hören war. Sie schaute zu, wie Tante Johanne aus der Scheune kam und mit nassem Haar und saurem Gesicht im Haus verschwand. Henriette wusste noch immer nicht, wohin sie gehen sollte. Zu den anderen Mädchen in die Scheune? An Tante Johanne vorbei ins Haus? Oder einfach hierbleiben, sich in eine trockene Ecke setzen und warten, dass sie wieder nach Hause durfte. Oder dass Charlie sie holte. Charlie Jackson …
     
    «Hier steckst du!», rief Ida, als sie ihren mittlerweile wieder trockenen Lockenkopf zur Remisentür hereinsteckte.
    Henriette wusste nicht, wie lange sie dagesessen hatte, sie war in Gedanken weggedriftet, hatte die Zeit vergessen. Das trübe Tageslicht war der Dämmerung gewichen. Es mussten Stunden vergangen sein. War das möglich?
    «Du bist ja klatschnass! Du holst dir den Tod!»
    Tatsächlich fror Henriette entsetzlich, ihre Zähne schlugen aufeinander, und ihr Hals fühlte sich wund und geschwollen an. Sie hatte es einfach nicht über sich gebracht, ins Haus zu gehen und darum zu bitten, sich umziehen zu dürfen. Ida gab ihr eine Hand und zog sie auf die Füße.
    «Komm, gleich ist Andacht, und dann gibt es Abendbrot.»
     
    Als Henriette in trockenen Sachen zusammen mit den anderen Mädchen in Tante Johannes sogenannter Betstube saß, zitterte sie noch immer am ganzen Leib. Ida legte

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