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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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musste sie lachen. Welcher Arzt denn?
    «Ich mache dir eine Wärmflasche, ich bin in zehn Minuten zurück», sagte Ida und ging.
    Als Henriette sich unter ihrer frisch und fremd riechenden Decke zusammengerollt hatte, war sie froh, dass sie nicht allein schlafen musste, und während sie dalag und wartete, stieg eine eiserne, schwere Melodie in ihr auf, endlich, da war sie wieder, die Musik, und lullte sie ein, noch bevor Ida mit der Wärmflasche zurückkam.

[zur Inhaltsübersicht]
    7
    S ie würde noch die Tür einschlagen, keine fünf Minuten Zeit gab sie ihm zwischen ihren Attacken!
    Wütend drehte Charlie sich zur Wand, erwartete das Unvermeidliche. Das leere Gefühl im Magen, das Licht zwischen den Vorhängen, die Pendeluhr in Frau Lieses Stube sagten es ihm. Er wollte es nicht wissen, wollte die Ohren dagegen verschließen, aber sein Verstand erfasste die Anzahl der Uhrschläge auch ohne sein bewusstes Zutun, es war elf Uhr am Vormittag. Und richtig, die Tür öffnete sich. Meist drang sie schon um zehn Uhr ein, die zusätzliche Stunde war bloß eine Gnadenfrist gewesen.
    Charlie bewegte sich nicht, lauschte auf das Klappern des Wasserkrugs auf dem Waschtisch, Frau Lieses Röckerascheln, immer kam sie zwei- oder dreimal auf diese Weise herein, versuchte ihm mit ihren Verrichtungen ein schlechtes Gewissen zu machen, ging dann wieder hinaus, so geräuschvoll wie möglich, aber ohne ihn direkt zum Aufstehen anzuhalten. Doch jetzt riss sie gnadenlos die Vorhänge auf. Vielleicht würde er heute einfach auf die Straße zurückkehren, dort würde man ihn alleinlassen, so lange er wollte. Charlie lauschte, hörte sie atmen, sie musste direkt neben seinem Bett stehen. Was dann kam, war neu. Sie zog ihm die Decke weg.
    «Jetzt stehen Sie aber mal auf. Ihnen fehlt ja gar nichts», sagte Frau Liese streng.
    Charlie fuhr wie ein Springteufel aus dem Bett.
    «Finger weg!»
    Frau Liese setzte sich auf die zusammengeknüllte Hose auf dem Stuhl vor seinem Bett und sah ihn erschrocken an. Dann fasste sie sich, fest entschlossen, sich von Charlies Zorn nicht beeindrucken zu lassen. Sie zog die Hose unter ihrem Gesäß hervor und schüttelte sie energisch aus, bevor sie sie ordentlich hinter sich über die Lehne legte.
    Solange er mit Hetti zusammen gewesen war, hatte Charlie die Hose jeden Abend exakt Bein auf Bein zusammenfaltet und zwischen Matratze und Schoner gelegt, damit sie am nächsten Morgen wie frisch gebügelt war. Doch jetzt war Hetti fort.
    «Sie müssen etwas essen», sagte Frau Liese.
    «Ich muss gar nichts.»
    «Und sich waschen.»
    Charlie wartete, dass sie ging.
    Frau Liese deutete auf den Waschtisch.
    «Benutzen Sie das Wasser, solange es heiß ist.»
    Charlies Wut verblasste so schnell wie der Dampf, der aus der Wasserkanne aufstieg.
    «Bitte, lassen Sie mich einfach in Ruhe», sagte er.
    «Sie fangen langsam an zu stinken.»
    Frau Liese stand auf, um die Fenster zu öffnen.
    «Sie sollten nicht bei Tag im Bett liegen wie ein gemütskrankes Fräulein. Ich habe es auch nicht leicht, als alleinstehende Frau. Aber ich lasse mich nicht so gehen.»
    Charlie schüttelte den Kopf.
    «Sie können mir nicht helfen.»
    «Hat es etwas mit dem Mädchen zu tun?»
    Frau Liese war um die vierzig, weizenblond, fleischige Nase. Sie besaß eine natürliche Autorität, und Charlie hatte keine Kraft, ihr zu widersprechen.
    «Natürlich geht es um das Mädchen», sagte sie.
    Sie nahm Charlies Arm, half ihm aus dem Bett und zum Waschtisch hinüber wie einem alten Mann. Als sie das Wasser in die Schüssel goss, beschlug der Spiegel an der Wand.
    «Ich bin gleich zurück.»
    Neben der Waschschüssel lag ein neues Stück Seife, das nach Rosen duftete und Charlie an Hetti erinnerte, und er wollte sein Gesicht, sein ganzes Sein in diesen Duft eintauchen.
    Er zog das Nachthemd über den Kopf, ließ es auf den Boden fallen und tauchte seine Hände mit der Seife in das schmerzhaft heiße Wasser.
    «Keine Sorge, ich guck Ihnen nichts weg», sagte Frau Liese und rauschte an ihm vorbei ins Zimmer.
    Während er sich wusch, hörte Charlie, wie sie das Bett aufschüttelte, Dinge auf dem Tisch zurechtrückte. Dann stand sie neben ihm, entfaltete das Handtuch mit einem energischen Schwung und trocknete ihn zügig ab, so geschickt und beiläufig wie eine geübte Krankenschwester ihren Patienten.
    «Sie sind so ein hübscher Junge», sagte Frau Liese. «Ich kann Sie nicht so traurig sehen.» Dann legte sie ihm eine Hand auf die Wange. «Sie haben

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