Kaltes Herz
mitnehmen und vorführen kannst. Ohne funktionierenden Prototypen keine Anmeldung beim Patentamt und keine Geldgeber. Wir müssen die Kosten berechnen, Johanne kann dann das Nötige veranlassen.
Regenmacher seufzte. Er schien es hinzunehmen, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
«Ich hoffe nur, dass deine Mittel dazu auch noch ausreichen, Heinrich.»
Wie meinst Du das?
«Johanne tut sich ohnehin schwer, die benötigten Beträge flüssig zu machen, das geht schon eine ganze Weile so, obwohl die Wäscherei besser geht als je zuvor.»
Regenmacher schien nicht gerne zu sagen, was er zu sagen hatte, und etwas in seiner Haltung, in seinem ausweichenden Blick, verstärkte das Misstrauen, das sich in Heinrich regte.
«Es sind Fragen entstanden, Heinrich, die Johanne mir nicht beantworten wollte. Du musst mir verzeihen. Bei meinem vorletzten Besuch habe ich ohne dein oder ihr Wissen einen Blick in die Bücher geworfen.»
Heinrich wartete, eine Nervosität hatte plötzlich Besitz von ihm ergriffen, die es ihm unmöglich machte, ohne Zittern zu schreiben. War Johanne ihm untreu geworden? Nach all den Jahren?
«Es gibt da einen regelmäßigen Ausgang, den ich nicht begriffen habe. Ein größerer Betrag geht jeden Monat nach Berlin.»
Heinrichs Erleichterung war größer, als er gedacht hätte. Die Ausgänge waren leicht zu erklären, und er verstand, dass Regenmacher Erklärungen wollte.
Das ist ihr kleines Familiengeheimnis, Regenmacher, und Du lässt Dir besser nichts davon anmerken. Johanne hat eine Schwester in Berlin, eine Gestrauchelte. Sie unterstützt sie und ihr Kind. Es soll nur niemand davon wissen, weil sie doch so katholisch ist.
Heinrich zwinkerte Regenmacher zu.
«Ich verstehe. Nur … vielleicht ist der Betrag ein wenig übertrieben? Du bist mir sicher nicht böse, wenn ich dir sage, ich habe mir die Schwester in Berlin einmal angesehen. Sie lebt, nun, sagen wir, nicht gerade einfach.»
Regenmacher hielt inne, doch es war offensichtlich, dass ihm noch etwas auf dem Herzen lag.
Das ist aber nicht alles, Regenmacher, richtig?
«Nein. Du weißt von dem neuen Mädchen im Haus?»
Heinrich ließ den Blick auf seiner Maschine ruhen, zählte sieben, acht, neun Walzgänge.
Regenmacher, was denn für ein Mädchen?
«Du weiß also nichts von ihr. Johanne hat es dir nicht gesagt?»
Heinrich schüttelte den Kopf. Was für ein Mädchen?
Regenmachers Miene war undurchdringlich. Und doch, für einen winzigen Moment schien es, als sei ein zufriedener Ausdruck über seine Züge gehuscht.
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10
H enriette saß halb aufrecht im Bett, mehrere Kissen ins Kreuz gestopft, ein kleines Buch mit dunklem Einband lag auf ihren Knien. Sie hatte es rein zufällig unter Idas Bett entdeckt, eine Ecke hatte am Fußende hervorgeschaut. Das Buch war zugeschlagen. Auf dem Deckel lag das herausgerissene Vorsatzblatt. Den Bleistift zum Schreiben hatte Henriette auf Idas Büchergestell gefunden. Ihre Finger zitterten, und ihr Kopf schwamm, dennoch schrieb sie, so schnell sie konnte.
… ich habe es begriffen, als ein entsetzlicher Schreck meine Sinne weckte: Der Mann mit dem Opernglas, er ist hier! Ich bitte Sie inständig, Charlie: Holen Sie mich hier fort, nehmen Sie mich mit, wohin auch immer. Selbst wenn Sie mich nicht lieben, so bitte ich Sie, mich zu retten. Fragen Sie nach der Weißwäscherei Pflog, in Gramstett.
Und bitte, bitte verzeihen Sie mir, dass ich fortgegangen bin, dass ich Ihnen nicht vertraut habe. Ich war krank vor Angst, dass Sie mich nicht lieben. Lieber wollte ich mein Leben ohne Sie verbringen. Ich sehne mich so sehr nach der Weite des Himmels über mir, und ich spüre, dass Sie dort auf mich warten. Ich habe Sie gesehen, in einer Wolkenlichtung, weit draußen, dort stand ich mit Ihnen am Ufer unseres Sees, zwischen schneebedeckten Gipfeln, bereit zu springen. Der Abgrund über mir ist durchleuchtet, und ich habe ihn leichtfertig eingetauscht für die Schwärze der sicheren Höhle, für ein Gefängnis, in dem dumpfer Herzschlag mich einzuschläfern droht.
Charlie, bitte, holen Sie mich! Bitte …
Schritte auf dem Flur! Henriette ließ das Buch und den Brief unter der Bettdecke verschwinden. Keine Sekunde zu früh, Ida kam mit dem Schmalzwickel. Henriette beeilte sich, ihre Tränen abzuwischen. Und gab sich gefügig den notwendigen Prozeduren und Idas Geplapper hin.
Henriette hatte das Motorengeräusch schon eine Weile wahrgenommen, aber sie begriff erst, zu wem es
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