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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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gehörte, als sie es, vielfach verstärkt, in der Toreinfahrt vernahm und das Quaken von Heinz Grafs Hupe durch den Hof schallte. Der Wäschefahrer.
    «Ich muss runter und helfen», sagte Ida.
    Endlich.
     
    «Warten Sie!»
    Die Stimme war leise, kaum zu hören bei dem Lärm, den das Automobil veranstaltete. Es war eine Mädchenstimme, und Heinz hatte sie schon einmal gehört.
    Er brachte das Automobil zum Stehen, der Motor ging aus, was ihn ärgerte, weil er ihn dann noch einmal würde ankurbeln müssen. Dennoch streckte er den Kopf unter dem Vordach hervor und blickte sich suchend um.
    «Hier oben!»
    Die Stimme klang heiser.
    Das Mädchen saß an einem Fenster im ersten Stock und winkte. Die Locken geöffnet und so glänzend wie der Lack seines Automobils. Sie trug ein weißes Nachthemd, vorne gekräuselt, was die beiden Wölbungen unter dem Stoff gut zur Geltung brachte.
    Heinz stieg von seinem Fahrersitz, zog die Mütze und machte eine Verbeugung inklusive übertriebenem Kratzfuß. Er wusste schließlich, was sich gehörte.
    «Guten Morgen, edles Fräulein.»
    Henriette Keller, jetzt fiel ihm der Name wieder ein.
    Ein wirklich hübsches Ding, auch wenn ihr Gesicht gerötet und geschwollen aussah. Vielleicht hatte sie sich ein paar Ohrfeigen von Frau Pflog eingehandelt, Heinz wusste, dass mit ihr nicht zu spaßen war.
    «Bitte leise. Ich möchte nicht, dass man uns hört.»
    «Oh, natürlich. Niemand soll je von uns erfahren!»
    Das Mädchen reckte einen schlanken, sehr weißen Arm aus dem Fenster. Einen hübschen Arm.
    «Können Sie das für mich beim Postamt aufgeben?», nuschelte sie.
    Zwei zusammengefaltete vergilbte Zettel zitterten in der Brise, die ums Haus strich.
    «Geld für Umschlag und Marken gebe ich Ihnen natürlich.»
    «Das ist aber ein ziemlicher Umweg.»
    Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, weil Heinz jeden Tag sicher viermal am Postamt vorbeifuhr, aber das konnte das Mädchen ja nicht wissen.
    «Ich bezahle den Umweg.»
    Heinz trat näher. Vielleicht konnte er ein wenig mehr herausschlagen.
    «Hören Sie, ich mache Ihnen einen Vorschlag: Den Umweg mache ich umsonst. Aber Sie könnten mir Ihre Dankbarkeit vielleicht in Naturalien zeigen?»
    Das Mädchen zog die Hand zurück.
    «Wie meinen Sie das?»
    «Mir würde schon ein winziger Kuss genügen, von einer Schönheit wie Ihnen.»
    Das Mädchen zögerte.
    «Ich habe Ziegenpeter.»
    Aha, also doch keine Ohrfeigen. Wahrscheinlich war sie viel zu wohlerzogen, um was an die Ohren zu kriegen. Aber das machte die Sache nur umso reizvoller. Heinz winkte ab.
    «Ziegenpeter hatte ich längst.» Heinz streckte die Hand aus. «Geben Sie mir den Brief.»
    Das Mädchen zögerte noch, doch dann schien es einen Entschluss zu fassen, schlug die Augen nieder, nickte.
    «Halt, warten Sie, nicht einfach fallen lassen! Er segelt nur in den Matsch. Wickeln Sie ihn in ein Tuch. Oder besser in einen Strumpf.» Ja, einen Strumpf würde er durchaus gerne haben wollen von ihr, das war eine gute Idee.
    «Und stecken Sie gleich das Geld dazu, damit das Ganze etwas schwerer wird.»
    Das Mädchen nickte erneut, verschwand und kehrte kurz darauf mit einem fest verpackten Schal zurück. Sie warf überraschend präzise, Heinz fing das Päckchen mit einer Hand und hielt es sich unter die Nase wie ein Ritter, der vor der Schlacht das Tuch seines Edelfräuleins als Talisman entgegennimmt und seinen Duft einsaugt. Der Schal strömte intensiven Schmalzgeruch aus.
    «Betörend. Da kriegt man glatt Hunger», sagte Heinz.
    Das Mädchen lachte nicht.
    «Den Schal muss ich aber wiederhaben.»
    «Sie bekommen ihn, wenn ich meinen Lohn hole.»
    Er winkte mit dem in den Schal gewickelten Brief und stapfte durch den Schlamm, streichelte die glänzende Flanke seiner Schönheit mit der herrlich weichen Luftbereifung, warf den Schal auf die Fahrerbank, ging nach vorne und kurbelte fröhlich pfeifend den Motor an. Er mochte es, wenn der Tag mit einem Handel begann, es gab der Routine etwas Würze, auch wenn so ein einzelner Kuss an sich wenig Abenteuerliches hatte. Aber dieses Mädchen war schon etwas Besonderes, anders als die Pflog-Mädchen, anders als die Mädchen, die er sonst in Gramstett kannte. Sie hatte etwas Feines an sich.
    Heinz stieg auf die Fahrerbank, roch noch einmal an dem Schal. Der deftige Geruch passte nicht zu ihr und zerstörte den Anflug von Märchenhaftigkeit, den sie ausstrahlte, und das Lederpolster unter seinem Hintern war klamm. Vielleicht sollte er die Handschuhe

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